Teil 1 Eine Kanone aus Glas
Was haben ein Apfel, ein Tannenzapfen und eine Kanone gemeinsam? Augenscheinlich nichts und es stellt sich die Frage nach der Pointe des Scherzes. Die Antwort findet sich in der Geschichte des Christbaumes. Die zierliche Kanone aus Glasperlen und Drähten war einst ein beliebter Christbaumschmuck. So kurios das heute erscheint, so gut passte es in die damalige Zeit. Der ausgewählte Baumbehang unterlag stets dem Zeitgeist und -geschmack, variierte von goldenen Nüssen, über gläserne Eiszapfen, bis hin zum funkelnden Hakenkreuz. Ein kleiner geschichtlicher Abriss zu dem für viele selbstverständlich gewordenen Weihnachtsbaum soll etwas Licht ins Dunkel bringen. Die Anfänge der geschmückten Tanne waren keineswegs christlich geprägt. In ganz Europa zierten immergrüne Zweige zur Mittwinterzeit Haus und Hof. Frühen Quellen zufolge, gab es bereits im 15. Jahrhundert den Brauch, Zweige als Schutz- und Hoffnungszeichen über Türen und Fenster anzubringen. Die Nadeln hielten böse Geister fern, das Immergrün machte Hoffnung auf das nahende Frühjahr. Dabei kam nicht nur die Tanne, sondern auch die Stechpalme, Eibe oder der Buchsbaum zum Einsatz. Im 16. Jahrhundert etablierte sich der Weihnachtsbaum im deutschsprachigen Raum zunächst nur bei Protestanten. Baumbehang ist aus dem 17. und 18. Jahrhundert in Form von allerlei Essbarem wie Äpfel, Nüsse, Brezeln und in Basel sogar Käse bekannt. Model-Gebäcke aus Teig, die sogenannten Springerle, waren zu der Zeit auch sehr beliebt. Während sich nur der Adel einen echten Weihnachtsbaum leisten konnte, gestaltete die ärmere Bevölkerung Gestelle aus Holz und Draht. Baum wie Behang wurden lange Zeit von den Familien selbst hergestellt. In Deutschland trat der Weihnachtsbaum im 19. Jahrhundert seinen Siegeszug in die Welt an. Dazu trugen insbesondere Auswanderer bei. In Großbritannien beispielsweise brachte Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, der Ehemann von Queen Victoria, die Tradition des deutschen Weihnachtsfestes, samt Weihnachtsbaum, an den englischen Hof. Im 19. Jh. zierten häufig mit Zuckerguss bespritzte oder mit Oblaten (Glanzbilder) beklebte Lebkuchen den Baum. Neben dem Gebäck traten erneut vergoldete Äpfel und Nüsse sowie Zuckerzeug (Zuckerpuppen) auf. Farbige Ketten aus Papier umwanden die Äste und verschiedene Gegenstände, aus festem, farbigem Karton geschnitten, hingen am Baum. Nach dem Aufkommen der Bilderbogen fanden auch diese als Baumschmuck Verwendung. Der gläserne Christbaumschmuck aus dem thüringischen Lauscha kam erst Mitte des 19. Jh. auf und erfreute sich zunehmender Beliebtheit, ebenso Lametta, das 1878 erstmals in Nürnberg hergestellt wurde. Nun verzierten Tannenzapfen, Vögel, Weihnachtsmänner und Kugeln aus Glas sowie die Gold- und Silberfäden von Lametta den Weihnachtsbaum. Der Christbaumschmuck demonstrierte in gewisser Weise die neuesten Errungenschaften der Zeit. So gab es Ende des 19. Jh. Eiszapfen aus Glas als Baumbehang, die im Zusammenhang der Ersten Deutschen Arktisexpedition 1868 stehen. Anfang des 20. Jahrhunderts war der weihnachtliche Baumschmuck bereits voll kommerzialisiert und es gab eine reiche Auswahl verschiedenster Schmuckstücke. Vor und während der beiden Weltkriege war das Schmücken des Weihnachtsbaumes ein politisch- patriotischer Akt, die Kriegsbegeisterung sollte mit entsprechender Motivwahl gesteigert werden. Im Ersten Weltkrieg gab es kleine U-Boote, Kriegsschiffe oder Zeppeline als Baumbehang. Ähnlich politisch- militärisch wurde auch während der Nazizeit geschmückt. Es gab Christbaumdekor mit eindeutiger NS-Symbolik. Lametta, Engelshaar und Christbaumwatte wurden nun als kitschig abgetan. Die gläserne Kanone aus der Raritätensammlung Bruno Gebhardt fällt in die Zeit des Ersten Weltkrieges. Es handelt sich hierbei um Gablonzer Christbaumschmuck, der in Gablonz, heutiges Tschechien, aus hohl geblasenen Perlen gefertigt wurde. Die Herstellung von Gablonzer Glasschmuck hat eine lange Tradition. Um 1550 entstanden hier schon die ersten Glashütten und -schleifereien. In der kargen Gegend des Riesenund Isergebirges mit dem Handelsplatz Gablonz gab es außer den Glashütten keine anderen Erwerbsquellen, folglich entstand eine große Heimindustrie, in der Glasteile weiterverarbeitet wurden. Unzählige Gablonzer Familienbetriebe fertigten aus Glasröhren, den Halbfabrikaten der Glashütten, die Perlen vor einem Öllämpchen mit Blasebalgverstärkung. Auf die Weise entstanden ohne formgebende Hilfsmittel „Freihandperlen“. Später erledigte eine in der Region entwickelte Perlenformmaschine diese Arbeit. Die einzelnen Perlen erhielten noch einen echten Silber- oder Farbeinzug. Hohlglasperlen, Glasstifte, Sprengperlen und Perlreihen wurden überwiegend von den Männern geblasen und geformt. Die Frauen kombinierten anschließend die Perlen zu bestimmten Formationen, meist Miniaturnachahmung von Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs, aber auch Fantasiegebilde, Tiere und technische Neuerungen. Die Familien wetteiferten im Konkurrenzkampf um die originellsten Schöpfungen der Weihnachtsbaumanhänger. Die Vielfalt als Ergebnis der Hausindustrie reicht somit über Flugzeug, Schlitten, Puppenwagen, Fahrrad, Spinne, Stern, Nudelholz, bis hin zur Kanone. Der Gablonzer Christbaumschmuck wird heute noch wie vor 150 Jahren in Handarbeit gefertigt. Alte Stücke lassen sich von neuen nur durch entsprechende Altersspuren wie Rost an den Drähten, verblasster Silbereinzug oder anhand der Motivwahl unterscheiden. Eine Kanone wäre heute ein eher unübliches Motiv. Doch hat sich nichts daran geändert, dass der Christbaum den Zeitgeist widerspiegelt. So gibt es in diesem Jahr Christbaumkugeln in Form eines Weihnachtsmannkopfes mit medizinischer Mund- und Nasenbedeckung im Sortiment. Der Leser darf selbst entscheiden, welche Art von Christbaumschmuck gefällt, letztlich sagt der Baum auch etwas über seinen Dekorateur aus.
Die HEIMATWELTEN ZWÖNITZ wünschen viel Spaß beim Schmücken und ein frohes Fest! (Text: Paula Stötzer)