Wer in den letzte Wochen – vor der baubedingten Absperrung des Gartens – einen Rundgang um die Knochenstampfe gemacht hat, dem dürfte es aufgefallen sein: etwas fehlt. Wo sich alle Jahre ein Mühlrad drehte – letzthin eher schwerfällig – ist jetzt nur noch die Welle zu sehen, die aus der Natursteinwand ragt. Doch waren es nicht etwa Brennholzdiebe, die das in die Jahre gekomme Mühlrad entwendet haben, um in Zeiten gestiegener Brennstoffkosten ihre heimischen vier Wände zu heizen. Mühlenbauer haben es demontiert und mitgenommen, um durch einen Neubau wieder Schwung in die alte Knochenstampfe zu bringen und den über 400 Jahren Dorfchemnitzer Mühlengeschichte ein neues Kapitel hinzuzufügen. Die Reise unseres Wasserrades in das osterzgebirgische Mulda soll zum Anlass genommen werden, sich einmal näher mit eben jener langjährigen Mühlengeschichte zu befassen.
Bereits für das Jahr 1585 belegen Landessteuerlisten die erstmalige Abgabe eines Mühlzinses durch den Besitzer eben jenes ¼ Hufengutes, auf dem bis heute das Museum Knochenstampfe steht. Das von Quellen gespeiste Günsdorfer Wasser, in Spannteichen gesammelt, versorgte seitdem eine ganze Reihe von wassergetriebenen Produktionsstätten. Die spärlichen Aufzeichnungen der frühen Jahre geben uns Auskunft über die Existenz einer Mahlmühle, einer Schneidmühle und einer Ölmühle. Das Stampfwerk der Ölmühle lässt sich für das Jahr 1744 nachweisen. Erst mit der Einführung des Versicherungswesens und der damit verbundenen Erstellung eines Brandkatasters liegen uns genauere Informationen über die in der späteren Knochenstampfe beheimatete Mühlentechnik vor. So werden für das Jahr 1852 zwei Wasserräder angeführt. Eines für den Betrieb einer Mahlmühle und einer Lohstampfe (Stampfwerk zur Verarbeitung von Rinde für die Lohgerberei) und ein weiteres für den Betrieb eines Sägegatters im Bereich der zuletzt für Sonderausstellungen genutzten Räume über der Knochenstampfe. Das Günsdorfer Wasser war hierbei kein sonderlich zuverlässiger Wasserlieferant. Saisonale Dürren konnten den Betrieb der Mühlräder trotz ausgedehnter Spannteiche zur Wasserbevorratung empfindlich stören. Darüber hinaus finden sich in den Unterlagen des Erbgerichts zahlreiche Belege für rechtliche Streitigkeiten um die Wassernutzung zwischen den Mühlenbetreibern und weiter hangaufwärts ansässigen Bauern. Der Bau der Eisenbahnstrecke Chemnitz-Adorf, in dessen Zuge 1873 zwei Drittel der für das Wasserdargebot nötigen Spannteiche enteignet und verfüllt wurden, verschlimmerte die Lage dramatisch, sodass das Sägewerk nicht mehr betrieben werden konnte und das zugehörige Wasserrad demontiert werden musste. Das übriggebliebene Wasserrad wurde zunächst weiter zum Betrieb einer Lohstampfe und einer Mahlmühle genutzt. Erst um 1900 begann das heute namensgebende Stampfen von getrockneten Tierknochen zur Produktion von Düngemitteln. Im Zuge eines Scheunenneubaus, dem Vorgängerbau des heutigen Stampfencafés, wurde eine Welle durch den Hof gelegt um dort fortan – soweit es das Wasserdargebot zuließ – eine Dreschmaschine mit Wasserkraft betreiben zu können. 1920 wurde das bereits 1882 stillgelegte Sägegatter ausgebaut und eine Drechselbank installiert, um durch die Produktion von Spulen für die Strumpfindustrie einen kleinen Zuverdienst generieren zu können. Gleichzeitig ersetzten die Müller das bisher genutzte liegende Stampfwerk durch eben jene stehenden Stampfen, die bis heute im Museum besichtigt werden können. Der zweite Weltkrieg und die schlechten Nachkriegsjahre brachten eine erhöhte Nachfrage nach Düngemitteln mit sich, weshalb nach Kriegsende noch einmal eine Erneuerung des Wasserrades erfolgte. Mit der Republikflucht des letzten Gutsbesitzers endete 1953 auch die Geschichte des Gutes als landwirtschaftliche Produktionsstätte und Mühle. Die Gebäude ebenso wie das noch gar nicht sehr alte Wasserrad verfielen zusehends und erregten die Aufmerksamkeit der Denkmalschutzbehörden, sodass 1955 erstmals 15.000 Mark bereitgestellt wurden, um im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes zumindest eine Notsicherung an den Bauten vornehmen zu können.
Letztlich waren es die Schnitzer, die 1963 auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten auf das Gut aufmerksam wurden und mit der stückweisen Sanierung der alten Gemäuer begannen. Raum für Raum entkernten und sanierten Freiwillige fortan die Gebäude und so wuchs über die Jahre Schritt für Schritt ein überregional bekanntes Kulturzentrum, dass nicht nur Schnitzern und Klöpplerinnen sondern auch Vogelkundlern, Entomologen, Fotografie-Enthusiasten, Heimatforschern und Ortschronisten ein zweites Zuhause wurde. Natürlich wurde im Zuge der Entwicklung des Museums und Kulturzentrums auch an die technischen Anlagen gedacht. Das noch gar nicht so alte Wasserrad war durch langen Stillstand einseitig ausgetrocknet, die Unterseite stark verfault und die Welle war gebrochen, weshalb eine Reparatur des Bestandes aussichtslos erschien. Die Fällung einer Eiche unweit des heutigen Sägewerkes Weber bot 1966 den Anlass eine neue Wasserradwelle anzufertigen und somit auch das Wasserrad selbst zu erneuern. Der Baumstamm wurde kurzerhand über die Straße in den Garten der Familie Wintermann gerollt und in über 300 Arbeitsstunden von den Wintermännern in Handarbeit zugerichtet. Die Lagerzapfen fertigte die Firma Jähn in Lößnitz. Bereits im November des gleichen Jahres konnte ein erster Probelauf des Stampfwerkes stattfinden. Mit der aktuellen Wiederherstellung des Wasserrades und der Antriebstechnik soll die Dorfchemnitzer Mühlengeschichte nun in einem neuen Kapitel fortgeschrieben werden. Ob die alte Wasserradwelle, die einst unter Schweiß und Mühen von engagierten Freiwilligen in Form gebracht wurde Teil dieses Kapitels sein wird, vermag noch niemand zu sagen. Erst die Demontage des stark vom Schwamm befallenen Kammrades wird Aufschluss darüber geben, ob sie sich weiter drehen darf oder ob die alte Stampfe künftig von einer neuen Welle angetrieben wird.
(Marco Blechschmidt)
Titelbild: Radkammer mit alter Wasserradwelle nach Demontage des Wasserrades am 30.11.2022 (Foto: Claus Uhlmann, Archiv Knochenstampfe Dorfchemnitz