…hat zumeist der, dem etwas Peinliches geschieht oder der, der einen herausragenden Erfolg zu verbuchen hat. Wie die Ausdrücke ins Schwarze treffen oder weit fehlen, entstammt die Redewendung dem Schützenwesen. Bei mittelalterlichen Schützenfesten dienten den Wetteifernden hölzerne Vögel als Ziel, die an hohen Stangen befestigt wurden. Der letzte Schütze, dessen Bolzen am Festtag das letzte verbliebene Stück des Vogels traf, gewann das Schießen. Er hat im Kontext des Wettkampfes den Vogel abgeschossen. Da mit dem Sieg in derlei Wettkämpfen oftmals auch große finanzielle Verpflichtungen einhergingen, waren die Sieger oft vorbestimmt. Schoss nun ein Teilnehmer versehentlich den Vogel ab, konnte für diesen eine ziemlich peinliche Situation entstehen. Die Traditionen der Schützengesellschaften änderten sich am Übergang zur Neuzeit, nicht zuletzt durch das Aufkommen von Feuerwaffen. Hölzerne Scheiben, zunächst schmucklos, später mit immer kunstvolleren Malereien verziert, lösten die hölzernen Vögel ab. Vielfältige Themen und Darstellungsweisen hielten Einzug und es bildete sich eine ganz eigene, bis heute oft unterschätzte Gattung bürgerlicher Gebrauchskunst heraus. So zierten insbesondere Alltagsdarstellungen mit deutlich regionaler Prägung die Scheiben. Es entstanden Abbildungen von Osterlämmern, von Ehrenbuben- und Mägden, von Szenen des bürgerlichen Lebens, von Häusern und Stadtansichten oder von idyllischen Landschaften. Auch Darstellungen der Jagd und des Fischfangs schmückten zahlreiche Scheiben. Spätestens ab dem 17. Jahrhundert und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein spielten darüber hinaus Darstellungen von zeitgeschichtlichen Phänomenen eine wichtige Rolle. So wurden etwa Siege in Schlachten, Friedensschlüsse, lokale oder überregionale Katastrophenereignisse oder allgemeiner gehaltene Zeitenbilder guter oder schlechter Jahre auf den Schützenscheiben im Bild festgehalten. Zeugnis hiervon legt eine Schützenscheibe ab, die in der Sonderausstellung „Das Dings vom Dach“ in der Raritätensammlung Bruno Gebhardt zu bewundern ist. Das Zentrum der runden Holzscheibe ist bemalt und zeigt eine öde Landschaft, durch die ein Skelett auf einem schwarzen Pferd reitet, gekleidet in eine französische Militäruniform aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Im Vordergrund ist, ausgemergelt und offenbar dem Hungertod nahe, eine vierköpfige Familie dargestellt. Die Frau hat klagend die Hände zum Kopf gehoben, ihr Blick gilt dem Kind in ihrem Schoß. Die Augen des Mannes sind in Verzweiflung zum Boden gerichtet. Dazwischen steht ein junges Mädchen, dünn und ausgehungert. Umgeben ist das Bildfeld von einem Band aus 30 Spalten, in denen die Entwicklung der Verkaufspreise verschiedener Alltagsgegenstände im Laufe eines Jahres wiedergegeben sind. Spruchbänder verweisen auf die furchtbare Teuerung im Jahre 1923. Angegeben sind die Preise im Januar, Juni und Dezember des Jahres. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es in Konsequenz einer desolaten wirtschaftlichen Lage und einer erdrückenden Schuldenlast, die sich aus den Bestimmungen des Versailler Vertrages für Deutschland als Kriegsverlierer ergab, zu einer immer stärkeren Entwertung der Reichsmark, die im Jahre 1923 ihren Höhepunkt erreichte. So stieg etwa der Preis für ein Roggenbrot bis zum 06. November 1923 auf 233 Millionen Reichsmark, wobei die Gehälter der Arbeiter und Angestellten weit hinter den Preissteigerungen zurückblieben. Der Kurs für einen US Dollar entsprach schließlich 4,6 Billionen Reichsmark. Die Menschen handelten bald nicht mehr in Geldscheinen, sondern in Bündeln. Das Skelett auf unserer Scheibe ist als Allegorie des Todes zu deuten, der den einfachen Leuten in Deutschland als Folge kaum noch zu bewältigender Lebenshaltungskosten droht. Die Uniform des Reiters verweist auf Frankreich als vermeintlichen Schuldigen der Notlage. Die Malerei illustriert somit die traumatische Erfahrung tausender Deutscher, deren gesamte Rücklagen über Nacht wertlos geworden waren und gibt die Empfindung der Inflationszeit als existenzbedrohendes Unglück wieder. Sie zeigt beispielhaft, welche Einblicke uns Schützenscheiben in die Lebens- und Erfahrungswelt der Menschen vergangener Zeiten bieten. Wie die Scheibe in den Besitz des Sammlers gelangt ist, bleibt fraglich. Ungewöhnlich erscheint, dass sich auf ihr weder Einschusslöcher, noch eine Ehreninschrift für einen Wettkampfsieger finden lassen. Anhand von Vergleichen aus Kitzingen und Neustadt an der Aisch kann die Herkunft der Scheibe allerdings auf den Mainfränkischen Raum eingegrenzt werden. Es ist naheliegend, dass „dor Brun“ schlicht beeindruckt von der historischen Zeugniskraft der Scheibenmalerei war und sich daher ganz gezielt diese Schützenscheibe für seine Sammlung bestellte. Auch wissen wir, dass er sich intensiv mit Notgeld und Militaria beschäftigte und das Stück somit gut in seine Sammlung passt. So erfüllte die Scheibe zwar nie ihren eigentlichen Zweck als Ziel bei einem Schützenfest, kann dafür aber bis heute eindrucksvoll Zeugnis ablegen, von einem Ereignis der deutschen Geschichte, das uns heute, selbst angesichts stark steigender Preise, kaum mehr vorstellbar erscheint.
(Text: Marco Blechschmidt)
Laufende Bauarbeiten und die Einrichtung einer Schaubibliothek in der Raritätensammlung Bruno Gebhardt machen den Museumsbesuch derzeit leider unmöglich. Da dürfte es alle Interessierten freuen, zu erfahren, dass das Museum mit der neuen Schaubibliothek ab 25.04. wieder öffnen kann und die Sonderausstellung sowie die saisonalen Öffnungszeiten verlängert werden. „Das Dings vom Dach“ wird bis zum 9. Juli 2022, immer samstags von 13 bis 17 Uhr zu sehen sein. Führungen können ab dem 25. April auch an Werk- und Sonntagen angeboten werden. Hierfür ist eine Anmeldung erforderlich!