Als am Montag, dem 23.11.2020, am Markt 2 die Gerüste abgebaut wurden, kam zum großen Erstaunen für viele Passanten am Haus der goldene Schriftzug: „Blauer Engel“ zum Vorschein. Wenngleich Jüngere und Zugezogene damit wenig anfangen konnten, so war der Zusammenhang den älteren Zwönitzern sofort klar. Immerhin hatte hier bis 1966 der Vorgängerbau eine ebensolche Aufschrift, ergänzt um den Begriff „Hotel“, getragen. Soweit wollte man nach den Worten von Tim Schneider, Vorstandsvorsitzender der Zwönitzer Wohnungsgenossenschaft nun doch nicht gehen und das heutige reine Wohnhaus als Hotel bezeichnen. Aber die Aufschrift „Blauer Engel“ sollte schon wieder dran sein, spricht man doch auch heute noch immer unter den Älteren vom „Engel“ als Bezeichnung für das Wohnhaus. Dass der Schriftzug nicht die einzige Reminiszenz an das alte historische Haus ist, kann nun jeder selbst sehen. Die Genossenschaft hat sich alle Mühe gegeben, die Fassade in Farbe und Struktur ein stückweit dem Vorgängerbau, mindestens aber genauso den umgebenden Häusern, vor allem dem „Lämmelhaus“ rechts daneben, anzupassen. Ob nun das nach altdeutscher Deckung ausgeführte Schieferdach, die ausschwingende Mansarde mit den angedeuteten Gauben, die Fassadenuntergliederung mittels Bändern und eingerückten Fallrohren bis hin zu den neuen schall- und wärmegeschützten Fenstern mit Fensterkreuz, ja selbst die Farben mussten sich dieser Sichtweise unterordnen. Nun wird es sicher so manchen geben, der auch in Bau und Architektur mehr auf die Moderne setzt, doch die Reaktionen auf dem Marktplatz sind weitestgehend einhellig. Endlich ist die Gesamtansicht des Marktes wieder geschlossen und auch Fotografen müssen das Haus nicht mehr aussparen, wollen sie die historischen Ansichten mit ihrem typisch erzgebirgischen Charakter abbilden. Ein Besucher dieser Tage formulierte es so: „Eigentlich sieht es so aus, als hätte es schon immer so ausgesehen.“ Genau das ist für Tim Schneider das größte Lob. Genau das war gewollt! Und das hat sich die Genossenschaft auch einiges kosten lassen. Immerhin ca. 350 TEUR wurden in 2020 investiert, von der Bodendeckendämmung bis hin zum Vollwärmeschutz an der Fassade. Genau diese energetischen Aspekte waren auch der Ausgangspunkt. Für die Mieter wird es sich lohnen, bleiben doch auch die Mieten unverändert. Wenn man also schon an die Fassade rangeht, so kann man natürlich auch an den optischen Gesichtspunkten etwas tun. Gesagt, getan! Und auch die Stadt Zwönitz ist mit einer 25-prozentigen Förderung auf die förderbaren Bestandteile des Gesamtaufwandes dabei und hat geholfen, die wirtschaftlichen Aspekte im Zaum zu halten. Bürgermeister Wolfgang Triebert und Ute Hahn vom Bauamt ließen es sich auch nicht nehmen, an der kleinen Zeremonie, der symbolischen Enthüllung des Schriftzuges am Dienstag, dem 24.11.2020 teilzunehmen. Ebenso dabei die Vorstände der Genossenschaft sowie einige der am Bau beteiligten Baufirmen, die sich nicht wenig in das Projekt eingebracht haben und denen Respekt und Anerkennung gilt. Von links: Tim Schneider (Vorstandsvorsitzender WGZ) , Mandy Hauck (Vorstand WGZ), Wolfgang Triemer (Striftgestalter), Andreas Singer (Dachdeckermeister), Steffen Werner (Malermeister), Wolfgang Triebert (BGM), Michael Göckert (Ingenieurbüro), Martin Schneider (Zimmerermeister); fast verdeckt Ute Hahn (Bauamt). Oben in den Fenstern v.l.: Stefan Hanisch (Mitarbeiter WGZ) und Jan Holstein (Vorstand WGZ). Einige Restarbeiten sind aber noch zu erledigen. So die Zufahrt, das Tor und nicht zu vergessen das Gutenbergrelief, das als einziges Element des Vorgängerhauses an der Wand des „Poststall“ die Zeiten überdauert hat. Die beiden ausgesparten Nischen an der Giebelwand sind zuzüglich einer Erklärungstafel genau dafür vorgesehen. Wir werden nach Ausführung zu Anfang des nächsten Jahres davon berichten. Was aber bleibt, ist die Frage, nach dem Ursprung des Begriffs „Hotel Blauer Engel“. Darüber hatte Tim Schneider in der Mieterzeitschrift „Bei uns Zuhause“ Ausgabe Juni 2019 einige Informationen bereitgestellt, aus denen wir noch kurz zitieren wollen. Wen es genauer interessiert, der kann gerne auf der Internetseite der Genossenschaft unter www.wgzwoenitz. de in der herunterladbaren Zeitung selbst ausführlicher nachlesen. Also im Kurzdurchlauf die Geschichte dieses Ortes. Das alte Haus findet in den Gerichtsakten 1582 erste Erwähnung, wo eine der ältesten Zwönitzer Schmiede-Familien, die Engelhardts (auch Engerts) im Rahmen von Erbschaftsverkäufen erwähnt werden. 1718 erwirbt der Erbeingesessene Christoph Bonitz das Haus und richtet eine brauberechtigte Gastwirtschaft ein, die ab 1814 auch als „Hotel“ bezeichnet wird. Größere Veränderungen am Haus erfolgten 1864, als ein weiteres Stockwerk aufgesetzt wurde, man im Grundstück dahinter eine überbaute Kegelbahn sowie eine „Concerthalle“ mit Buffet und fünf „Lusthäuschen“ einrichtete. Am 19.02.1899 wurde im „Hotel Blauer Engel“ sogar die erste Zwönitzer Kinovorführung mittels einem „Edinsonschen Apparat“ durchgeführt. Nach zwischenzeitlichen weiteren Eigentümerwechseln erwirbt am 30.04.1919 der Verleger und Buchdrucker Carl Bernhard Ott jun. das Haus und wird hier seine Gewerberäume einschließlich Druckerei einrichten. Ott war eine schillernde Figur seiner Zeit, Stadtrat, aktiv in Vereinen und nicht zuletzt Verleger des dreimal in der Woche erschienenen Amtsblattes „Zwönitztaler Anzeiger“. Er wurde am 10.01.1946 von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) verhaftet, obwohl er nie Mitglied der NSDAP gewesen war, sich sogar wegen Kontakten zu jüdischen Verlegern und seinen bürgerlich konservativen Einstellungen 1941 mit den Nationalsozialisten überwarf, was infolge zur Einstellung seiner Zeitung führte. Alte politische Rechnungen und Denunziationen waren der Ausgangspunkt, für die letztlich am 04.05.1950 in der neugegründeten DDR erfolgten Verurteilung in den bekannten politischen „Waldheimer Prozessen“ zu sechs Jahren Gefängnis und vollständigem Einzug allen Vermögens. Damit kam das Haus in den Besitz der Stadt, die es noch bis 1957 als Hotel bzw. besser als Unterkunft und daneben ab 1955 für Ausstellungen des Kulturbundes nutzte. Das Haus beherbergte nach 1958 als „Haus der Organisationen“ neben dem Ausstellungssaal, dem Schnitz- und Klöppelzimmer auch die Ortsparteileitung der SED sowie einige Geschäfte. 1965 wurde klar, dass mit dem Ausbleiben notwendiger Dachreparaturen der Verfall nicht mehr aufzuhalten war, womit 1966 der Abriss folgte. Der Nachfolgebau, das bis heute stehende Wohnhaus, wurde 1968 bezogen. Nach der politischen Wende 1989 erhielt die Erbin der Familie Ott nach erfolgter Rehabilitation 1992 das Grundstück zurück und investierte in vielerlei Hinsicht. Nach dem Verkauf 2019 an die Wohnungsgenossenschaft steht nun diese in Verantwortung und will mit modernen Wohnungen das Wohnen auch im Zentrum unserer Stadt attraktiv gestalten. Es ist sicher kein Nachteil für unsere Stadt, dass der neue Eigentümer, die Wohnungsgenossenschaft nicht, wie die zahlreichen aktuell durchs Land ziehenden Finanzinvestoren, allein Profitinteressen verpflichtet ist. Hätten die hier zugegriffen, wären die Mieten gestiegen, doch sonst alles geblieben, wie es war. In der Genossenschaft geht es dagegen allein um die bestmögliche Wohnungsversorgung der Mitglieder und ganz aktuell auf dem Markt um das Gesicht unserer Stadt!
Text: Tim Schneider/Red.
Von links: Tim Schneider (Vorstandsvorsitzender WGZ) , Mandy Hauck (Vorstand WGZ), Wolfgang Triemer (Striftgestalter), Andreas Singer (Dachdeckermeister), Steffen Werner (Malermeister), Wolfgang Triebert (BGM), Michael Göckert (Ingenieurbüro), Martin Schneider (Zimmerermeister); fast verdeckt Ute Hahn (Bauamt). Oben in den Fenstern v.l.: Stefan Hanisch (Mitarbeiter WGZ) und Jan Holstein (Vorstand WGZ).
Schön was aus dem Haus gemacht wurde. Ich gehöre der letzten Erbfolge aus Ott-Zeiten an, lebe mittlerweile in Ungarn – dem Land aus dem einst mein Ur-Ur-Großvater nach Deutschland einreiste. Sehr großes Lob an alle Beteiligten. Über ein wenig Bildmaterial aus ihren Archiven würde ich mich sehr freuen. Viele Grüße aus Ungarn – Karsten Bremer geb. Ott