Nach einiger Wartezeit geht es nun weiter mit Teil 3 unserer Reihe über Kuriose (Dachboden-) Funde und ihre Geschichte. Kunstvoll, aufwändig in der Herstellung und zugleich – zumindest aus heutiger Sicht – recht unappetitlich erscheint uns eine Halskette, die der Sammler zusammen mit anderen Schmuckstücken auf einer Pappe befestigt und beschriftet hat: eine handgeklöppelte Halskette aus Menschenhaar. Heute nahezu vergessen, waren Schmuckstücke aus Menschenhaar oder Schmuckstücke, in denen Menschenhaar eingefasst wurde, noch bis in das ausgehende 19. Jahrhundert eine verbreitete Form des Gedenkens und des Ausdrucks von Verbundenheit zu anderen Menschen. Haarlocken von Verstorbenen, engen Freunden oder geliebten Menschen wurden in Medaillons gesammelt oder, wie im vorliegenden Fall, durch Knüpfen und Klöppeln zu Halsketten und Armbändern verarbeitet. Solcher Schmuck konnte einen hohen persönlichen Wert für den Träger haben. So ist etwa für Kaiser Napoleon I. belegt, dass er ein Medaillon mit einer Locke seiner Frau Josephine de Beauharnais trug und dessen Verbleib nach seinem Ableben testamentarisch festlegte. Dem Schmuck als ein pars pro toto, einem Teil des Ganzen eines anderen Menschen wurde eine ganz besondere Qualität als Erinnerungsstück zugesprochen, schien es doch, als könne in den Haaren ein Teil der Lebenskraft eines Verstorbenen weiterbestehen. So bemerkte bereits Marianne von Willemer (1784 – 1860), eine enge Freundin Johann Wolfgang von Goethes, die diesem eine in ein Medaillon gefasste Locke zukommen ließ, die besondere Erinnerungsqualität von Haar »als Repräsentant jener vereinigten Glieder«, also als Teil des ganzen Menschen. Über die Verwendung als Schmuckstücke hinaus, wurden Haare auch zur Fertigung kunstvoller Haarbilder verwendet. Solche Bilder aus sorgfältig zu Formen verbundenen Strähnen dienten der Erinnerung an wichtige Lebensereignisse, als Reliquienbilder oder wiederum dem Gedenken an Verstorbene. In letzterem Falle war es besonders in Zeiten großer Antikenbegeisterung üblich, Grabmonumente nach antiken Vorbildern aus Haaren zu legen. Die Herstellung von Haarschmuck und Haarbildern erfolgte meist durch Barbiere, Friseure und Perückenmacher, die hierdurch Zeiten fehlender Kundschaft überbrücken konnten. Da die Herstellung solchen Schmuckes kein zunftpflichtiges Gewerbe war, diente die Fertigung von Haarobjekten darüber hinaus vielen Frauen als selbstständiger Gelderwerb. Kunden konnten Haare in die Werkstätten schaffen und ganz konkrete Fertigungswünsche übermitteln. Die Preise konnten frei verhandelt werden. Die Schmuckstücke wurden geflochten oder geklöppelt, wozu in der Regel bleierne Klöppel und ein Rahmen nötig waren, bis in der Spätzeit Haarflechtmaschinen Verbreitung fanden. Haarbilder bestanden aus Haaren und Haarstaub, die auf eine Unterlage geklebt wurden. Mit dem Aufkommen erster Versandhäuser in den Vereinigten Staaten, die Auftragsarbeiten aus eingeschickten Haaren anfertigten, verlor das Heimgewerbe zunehmend an Bedeutung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts neigte sich auch die Ära des Haarschmuckes dem Ende. Mit der Verbreitung der Fotografie lösten Fotos von geliebten Menschen, von verstorbenen Angehörigen und von wichtigen Lebensereignissen das Menschenhaar als Erinnerungsstück mehr und mehr ab, sodass dieser Brauch heute nahezu in Vergessenheit geraten ist. Die Broschen, die von der Haarkette eingeschlossen werden, sind ganz konkret als Trauerschmuck anzusprechen. Es handelt sich um Schmuckstücke aus Ebonit, einem Kautschukerzeugnis, das wegen seiner schwarzen glänzenden Oberfläche in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oft während des Trauerjahres von Hinterbliebenen getragen wurde und als günstigere Alternative zum teureren Gagat diente. Das Alter der Stücke und der längere Kontakt mit UV-Strahlung ließ die Stücke allerdings ausbleichen. Die Art der Präsentation, die Anbringung auf einer Pappe und die Beschriftung einzelner Stücke zeigen uns, dass Bruno Gebhardt die Objekte bereits in Ausstellungen präsentierte. Die Anordnung der Stücke und ihr Alter – allesamt lassen sich mit einiger Sicherheit in die Mitte oder die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts datieren – legen den Schluss nahe, dass Bruno mit dieser Präsentation einen Querschnitt durch beliebte Schmuckstücke einer bestimmten Zeit darstellen wollte.
(Text: Marco Blechschmidt)
Nach längeren Umbauarbeiten öffnet das Museum mit der neuen Schaubibliothek ab 25.04. wieder seine Tore. Die Sonderausstellung sowie die saisonalen Öffnungszeiten werden nach der langen Schließzeit verlängert. „Das Dings vom Dach“ wird bis zum 9. Juli 2022, immer samstags von 13 bis 17 Uhr zu sehen sein. Für Gruppen ab 6 Personen können dann auch Führungen an Werk- und Sonntagen angeboten werden. Hierfür ist eine Anmeldung erforderlich!