Zum Volkstrauertag, am Sonntag, dem 19.11.2023, trafen sich in Deutschland Bürgerinnen und Bürger an Gräbern und Gedenkstätten, um den Opfern von Kriegen, von Diktaturen, von Gewalt aller Art zu gedenken, von Menschen, die aufgrund ihres Glaubens, ihrer Weltanschauung, verfolgt, diskriminiert oder getötet wurden. Die Zwönitzer Gedenkveranstaltung fand in diesem Jahr am Mahnmal in Hormersdorf statt.
Die Rede anlässlich des Volkstrauertages am Mahnmal in Hormersdorf
hielt Pfarrer Frank Dregennus von der Ev.-Luth. Kirchgemeinde in Hormersdorf
Gedanken zum Volkstrauertag 19. November 2023
Liebe Teilnehmer unserer Gedenkstunde zum Volkstrauertag 2023 in Hormersdorf. Ich möchte zu Beginn unserer Feier den offiziellen Text zum Totengedenken lesen, den ich auf der Homepage der Bundesregierung für diesen Tag hinterlegt gefunden habe: “Wir denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker. Wir gedenken der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren. Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet wurde. Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten. Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren. Wir gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt Opfer geworden sind. Wir gedenken der Opfer von Terrorismus und Extremismus, Antisemitismus und Rassismus in unserem Land. Wir trauern mit allen, die Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz. Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.” Bundespräsident Theodor Heuss führte 1952 diesen Text anlässlich des Totengedenkens bei der zentralen Gedenkstunde des VolksbundesDeutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ein. Jedes Jahr neu werden diese Worte dann vom jeweiligen Bundespräsidenten auch zur zentralen Gedenkfeier in Berlin gesprochen. Und da ich das erste Mal in diesem Jahr hier in Hormersdorf zur Gedenkfeier am Mahnmal spreche, hatte ich mich hier eben auf der Homepage etwas informiert. Ich fand es interessant, dass auch in der zentralen Gedenkstätte in Berlin sowohl das Gedächtnis der Opfer der Weltkriege mit dem allgemeinen Gedächtnis der Opfer von Gewaltherrschaft verbunden ist. Wir haben in diesem Jahr in Hormersdorf auch die Stehle für die Opfer der Gewaltherrschaft vom Friedhof hier an das Mahnmal für die Kriegsopfer versetzt. Damit ist die Verbindung der beiden Erinnerungen gelungen. Ich möchte nun den Worten vom Totengedächtnis noch ein paar Gedanken anfügen. Auch wenn ich der „Pfarrer” bin, sind es persönliche Gedanken, keine offizielle Stellungnahme der Kirche oder der politischen Gemeinde. Persönliche Gedanken auch deshalb, weil ich vieles der Ereignisse, die uns im Moment neu bewegen, nicht nachvollziehen oder verstehen kann. „Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.” So endeten die Worte zum Gedächtnis. Dazu und dafür sollen unsere Mahnmale und unser Gedenken stehen. Das erste offizielle Totengedächtnis wurde vor 71 Jahren gesprochen. Von einer Generation, der die Folgen der Weltkriege noch bewusst waren. Eine Generation, wo viele in den Familien noch jemanden persönlich kannten. Dahinter stehen Namen wie die hier auf unseren Tafeln. Ich gehöre, wie die meisten ja hier auch, schon zu der Generation, die Krieg Gott sei Dank nie erleben musste. Weder Verlust der Heimat, Haus oder Besitz, noch von Eltern, Kindern, Freunden oder Bekannten. C Wir waren mit so vielen Jahren Frieden und damit auch wachsenden Wohlstand beschenkt. Selbst im „kalten Krieg!“ der damaligen Ost- Westblöcke. Die Friedenslösung der 80-er und 90-er Jahre hieß Abrüstung und Verträge. Im Blick auf Ost-West, sogar auf Israel – auch wenn hier die Abkommen schon immer brüchiger waren als in Europa. Aber es gab immerhin welche…Freilich gibt und gab es immer Kriege in dieser Welt – sie waren aber weit weg und wir wurden davor bewahrt. Nun bin ich weder ein Fachmann für Kriegsgeschichte noch der Friedensforschung. Aber ich hatte mein Leben lang das Gefühl – ok, das mit dem Frieden hat irgendwie funktioniert, solange man miteinander redet und eben die Geschichte noch erinnernd im Blick hat. Der Ansatz „Schwerter zu Pflugscharen“ im Bemühen um Frieden, schien ein Weg. Im Moment erlebe ich das krasse Gegenteil, nicht nur in der Ukraine seit 21 Monaten, auch im neuen Krieg in Israel seit nun über einem Monat. Verbunden ist damit eine ganz neue Politik der „Zeitenwende“. Auch zurück zum Krieg – eine immense Investition in Aufrüstung und Abschreckung. Ein neues Reden vom alten Ost-West-Konflikt, als Stellvertreterkrieg in der Ukraine und mit dem Angriff des Hamas auf Israel, ist sogar das Thema Antisemitismus plötzlich wieder gegenwärtig. Und das alles nicht nur lokal, sondern in globalen Zusammenhängen. Liegt es daran, dass wir von den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges inzwischen zu weit weg sind? Wir Jüngeren eben niemanden mehr so persönlich direkt kennen, der im Krieg umgekommen ist? Liegt es daran, dass auch mächtige, politische Verantwortliche vergessen haben, wieviel Unheil und auch Unberechenbarkeit darin liegt, einen Krieg zu beginnen? Und dass man da eben nicht so leicht zurückkann, ohne eine Spur des Todes und der Verwüstung zu hinterlassen, eine Spur des Leides, neuen Hasses und Vergeltung noch dazu? Wenn die Grenze von Friedensbewahrung, wozu eben auch Kompromisse gehören, einmal durchbrochen ist, ist es schwer wieder zum Frieden zurück zu finden. Ich bin sehr vorsichtig, hier Verantwortliche benennen zu wollen. Denn selbst als ehemaliger Bausoldat aus DDR-Zeit weiß ich nicht, wie ich reagieren würde, wenn morgen jemand Hormersdorf überfällt und hier mit Gewalt und Zerstörung hindurchzieht. Ich weiß wohl um das Bibelwort von Jesus an Petrus aus Matthäus 26,52, der bereit ist zu kämpfen: „Wer das Schwert nimmt, der soll durch das Schwert umkommen.“ Aber würde ich trotz der klaren Warnung von Jesus, vielleicht dann doch zum Schwert greifen? Ich weiß es nicht. Es gibt heute auch unter Christen eine große Diskussion um die Grenzen von Gewalt und Gewaltverzicht. Um die Frage der Selbstverteidigung und vieles andere… Und es gibt, wie so oft, wohl keine einfache Lösung. Weder zur Frage, wer nun tatsächlich Schuld hat und wer der Kriegstreiber ist. Eine Lösung aus meiner Sicht wäre zum Beispiel Verhandlungen führen. Aber man sieht die Lösung vielleicht auch in neuer Abschreckung? Ich kann es in den politischen Entscheidungen zum Teil durchaus nachvollziehen, aber im Herzen fällt es mir schwer. Da trage ich doch die Hoffnung auf Vergebung und Versöhnung. Und als Christ weiß ich, dass dies immer als erstes bei jedem Einzelnen vor Gott beginnt und möglich ist. Aber ich weiß auch, dass ich niemanden zu diesem Weg zwingen kann, wo er selbst im Herzen nicht bereit dazu ist.
Wie umgehen mit Bedrohung, Krieg und Not?
Ich habe eine Meldung gefunden, bei der berichtet wird, dass in ukrainischen Schutzräumen der Psalm 31 gebetet wird. Dazu gibt es auch ein Video der Ukrainischen Bibelgesellschaft bei youtube. Es ist ein Psalm von David, dem alten israelitischen König, der als Staatsmann ja auch mit Bedrohung, Krieg und Frieden umgehen musste. Mich hat sein Blick auf Gott beeindruckt. Er erwartet Hilfe von ihm. Wohl auch weil er weiß, dass er menschlich an vielen Stellen in diesen Fragen um Krieg und Frieden nicht weiterkommt. Daher ist meine letzte Frage, bei der schwierigen Frage nach dem Frieden, ob der neue Ausbruch von Bereitschaft zur Gewalt, Rüstung und Antisemitismus u.s.w., vielleicht nicht nur daran liegt, dass wir die Opfer oder die unberechenbare Eigendynamik eines Krieges vergessen haben oder ob es auch daran liegen könnte, dass wir sowohl unsere Verantwortung vor, aber auch die Hoffnung in Gott vergessen haben. Ich möchte Verse aus Psalm 31 jetzt zum Abschluss beten. Und ich möchte in dieses Gebet die einschließen, die eben jetzt in dieser Stunde ganz aktuell um ihr Leben fürchten müssen, seien es die Soldaten, Zivilisten oder Geiseln oder wer auch immer sonst. Denn es ist ja auch nicht nur der Krieg, der unser Leben bedroht. Nicht selten beginnt es doch im Frieden mit der Gewalt schon auch unter uns, zum Beispiel in den Gedanken und leider viel zu oft auch in Familien, Nachbarschaft usw. Bringen wir die Not und Hilflosigkeit mit diesen alten Worten zu Gott… Herr, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit! Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest! Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen. Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir heimlich stellten; denn du bist meine Stärke. In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und nimmst dich meiner an in Not und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum. Ich aber, Herr, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott! Meine Zeit steht in deinen Händen. Errette mich von der Hand meiner Feinde und von denen, die mich verfolgen. Lass leuchten dein Antlitz über deinem Knecht; hilf mir durch deine Güte! Gelobt sei der HERR; denn er hat seine wunderbare Güte mir erwiesen in einer festen Stadt. Ich sprach wohl in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen. Doch du hörtest die Stimme meines Flehens, als ich zu dir schrie. Liebet den HERRN, alle seine Heiligen! Die Gläubigen behütet der HERR und vergilt reichlich dem, der Hochmut übt. Seid getrost und unverzagt alle, die ihr des HERRN harret! Amen.