Vor Jahreswechsel kommt es jeden in den Sinn: ein neuer Kalender muss her! Ob Wand-, Tisch- oder Buchkalender, sie alle erfüllen den Zweck, das neue Jahr zu strukturieren und zu organisieren. Die gestalterische Vielfalt machen die Kalender seit je her zu einem beliebten Weihnachtsgeschenk. In der Raritätensammlung Bruno Gebhardt gibt es spannende Kalender zu entdecken. Die Sonderausstellung „Aus der Zeit gefallen? Kalender von anno dazumal“ ist gerade in der Adventszeit immer einen Besuch wert. In dieser besonderen Zeit begleitet uns ein ebenso besonderer Kalender, der Adventskalender. Und weil in gewohnter Manier zu ausgewählten Ausstellungsstücken berichtet werden soll, macht der Adventskalender den Anfang. Der in der Sonderausstellung „Aus der Zeit gefallen? Kalender von anno dazumal“ präsentierte Papier-Adventskalender „Vorweihnachtszeit“ von 1980 (Bild oben) zeigt eine winterliche Dorfszene. Entworfen wurde der Kalender von Gisela Wongel und gedruckt von der Druckerei “Franz Maecker” Neuruppin. Im Zentrum steht ein bäuerliches Fachwerkhaus. Im Vordergrund ist ein Kind zu sehen, das drei Lämmchen füttert. Ein weiteres Kind trägt weihnachtlich geschmückte Tannenzweige und zieht einen mit Geschenken beladenen Handwagen hinter sich her. Ein Weihnachtsmann beobachtet die Szene im Vorübergehen. Das Dargestellte illustriert eine kurze Weihnachtsgeschichte über Carl, Carola und das Moosweibchen, die auf der Rückseite des Kalenders abgedruckt ist. Hinter den Türchen des Adventskalenders finden sich kleine Bilder zu verschiedenen weihnachtlichen Themen, vordergründig von Dekoration und Süßwaren. Das vollständige Fehlen von christlichen Motiven ist kein Zufall und bezeugt die offizielle Linie der DDR-Führung in Bezug auf religiöse, speziell christliche Themen. Doch beginnen wir von Anfang an… Am 1.12. wird von Kindern und Kindgebliebenen das erste Türchen im Adventskalender geöffnet und vielleicht eine Schokoladenfigur verspeist. Der Adventskalender steigert und versüßt die Vorfreude auf Weihnachten und da Vorfreude bekanntermaßen die schönste Freude ist, gehört der Adventskalender zu einem nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil der Weihnachtstraditionen, dabei ist der Adventskalender wie ihn heute jedes Kind kennt nicht viel älter als 100 Jahre und das Naschen von Schokolade in der Vorweihnachtszeit auch eher eine jüngere Sitte. Adventus kommt aus dem Lateinischen und lässt sich mit Ankunft übersetzen. Die Adventszeit ist ein Warten auf die Ankunft des Herrn, verbunden mit zeremoniellen Vorbereitungen. Der Adventskalender stellt eine Besonderheit dar, da er nur die Dezembertage bis Christi Geburt zählt. Die Adventszeit ist dieses Jahr vergleichsweise kurz, denn Heiligabend fällt auf den 4. Advent. Weihnachten gehört zu den unbeweglichen Feiertagen im Kalender. Heiligabend ist immer am 24. Dezember, der Wochentag variiert hingegen. Zugleich ist im Kirchenjahr festgelegt, dass die Vorbereitungszeit auf Weihnachten vier Sonntage umfassen muss, der Advent also mindestens 22 und höchstens 28 Tage dauert. Dieses Jahr haben wir also „den Kürzeren gezogen“. Als Kirchenjahr wird im Christentum eine jährlich wiederkehrende festgelegte Abfolge von christlichen Festen und Festzeiten bezeichnet, nach der sich die Gottesdienstpraxis richtet. Den Hochfesten des Kirchenjahres geht eine mehrwöchige Fastenzeit voraus, die den Verzicht auf bestimmte Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milchprodukte vorschreibt. Dafür wird an den Festtagen üppig aufgetafelt. Der Brauch zum Martinstag am 11.11. eine Gans zu essen, rührt daher, dass sich daran eine 40tägige Fastenzeit anschließt. Diese ist im Gegensatz zur Fastenzeit vor Ostern fast völlig vergessen, nur der Brauch mit der Martinsgans hat sich gehalten und so wird der gesamten Adventszeit hindurch und zu den Weihnachtsfeiertagen reichhaltig gespeist.
Die Ursprünge des Adventskalenders lassen sich bis ins 17. Jh. zurückverfolgen. Um den Kindern die schrecklich lange Warte- und Fastenzeit bis Weihnachten erträglich zu machen, wurden in religiösen Familien im Dezember 24 Bilder nach und nach an die Wand gehängt. Auch andere Formen sind überliefert, zum Beispiel 24 Kreidestriche an einer Wand oder Tür, die die Kinder einen nach dem anderen bis Heiligabend wegwischen durften, oder 24 Strohhalme, die Tag für Tag in die anfangs leere Krippe gelegt wurden. Vorweihnachtliche Zeitmesser konnten auch selbst gebastelte Uhren mit 24 Feldern sein oder eine Kerze, die jeden Tag angezündet wurde und bis zur Markierung des nächsten Tages abbrannte. Der erste bezeugte Adventskalender mit süßem Inhalt wurde von der schwäbischen Pfarrersfrau Lang aus Maulbronn 1883 gefertigt. Frau Lang nähte für ihren Sohn Gerhard Lang 24 kleine Gebäckstücke auf einen Karton und versüßte ihm so die Wartezeit auf das Christkind. Gerhard Lang griff die Kindheitserinnerung auf und druckte als Teilhaber der lithografischen Anstalt Reichhold & Lang in Schwabing 1908 den „Münchener Weihnachts-Kalender“. Anstelle der Kekse gab es zunächst farbenprächtige Bilder, die ausgeschnitten und aufgeklebt werden konnten. Hinterklebte Kalender mit zu öffnenden Türchen und Fensterchen kamen nach 1920 in Mode, Reichhold & Lang gaben 30 verschiedene Motive für Adventskalender heraus. Gerhard Lang war vermutlich auch der erste Unternehmer, der Adventskalender mit süßer Überraschung herstellen ließ. Zusammen mit der Schokoladenfabrik Stollwerck in Köln entwickelte er 1925 einen „Nikolauskalender“ mit herausziehbarem Innenteil, gefüllt mit 20 in Metallfolie verpackten Schokoladentäfelchen. Die Dresdner Schokoladenfabrik Petzold & Aulhorn stellte in den 1930er Jahren als erstes Unternehmen Adventskalender mit Schokoladenfiguren her. Laut Preisliste von 1938 wartete im Kalender auf die Kinder hinter jedem Türchen eine erzgebirgische Schokoladenfigur.
Während des Nationalsozialismus wollte die Regierung christliche Weihnachtsbräuche aus dem öffentlichen Leben drängen. Der um 1940 von der Firma Friedrich Herold/Buchholz aus Prägepappe hergestellte Adventskalender „Hänsel und Gretel“ zeigt, dass Märchen zu stellvertretenden Weihnachtsmotiven auserkoren wurden. Mit dem Kriegsausbruch wurde das Papier in Deutschland rationiert, bald darauf erfolgte ein Verbot der kirchlichen Presse und des Druckens von „kriegsunwichtigen“ Bildkalendern. Doch da sich Adventskalender ungebrochener Beliebtheit erfreuten, veröffentlichte das Hauptkulturamt der Reichspropagandaleitung der NSDAP den Kalender „Vorweihnachten“. Der Kalender bündelte in einem Heft eine Auswahl an nationalsozialistischen Weihnachtsliedern, Rezepten für Sinngebäck und Bastelanleitungen für hölzernen Weihnachtsbaumschmuck in Form von Runen und Sonnenrädern. So sollten die Adventszeit umgedeutet und christlich-religiöse Elemente entfernt werden. Die veränderte Lage an der Front zeigte sich auch in der Kalendergestaltung. Ab 1942 zierten zunehmend militärische Motive wie Soldaten und Panzer den Vorweihnachtskalender. Mit dem Ende des Krieges kam auch die Sehnsucht nach christlichen Werten und alten Traditionen zurück. So fingen Betriebe, die nicht zerstört wurden und Papier vorrätig hatten, schon zu Weihnachten 1945 an, Adventskalender mit „alten Motiven“ zu drucken. Der „Himmlische Kalender“, 1945 von E. Hetzel gezeichnet und in den darauffolgenden Jahren vom Peter Hartmann Verlag Dresden mit einer Auflage von 60.000 Stück gedruckt, könnte stilistisch in die 1920er Jahre datieren und veranschaulicht den Wunsch nach der Rückkehr zu einer unbeschwerten, besinnlichen Weihnachtszeit. 1946 produzierte der Stuttgarter Verleger Richard Sellmer von Hand den Adventskalender „Die kleine Stadt“ und stellte diesen auf der Frankfurter Messe aus. Käufer aus Amerika wurden erstmals auf den deutschen Brauch aufmerksam und importierten die Kalender aus Stuttgart-Rohr. Zu den berühmtesten Kunden zählten Präsident Eisenhower und First Lady Nixon. Im Westen erlebten die christlichen Weihnachtsbräuche eine Renaissance, im Osten des geteilten Deutschlands hingegen wurden sie erneut verdrängt. Die allseits beliebten christlichen Feiertage wollten nicht in das Bild einer atheistisch geprägten, sozialistischen Welt der DDR-Führung passen. Wissend um die politische Sprengkraft, die ein Verbot des Festes bergen könnte, bemühte sich die DDR-Führung bis in die 80er Jahre um eine Aneignung oder Umdeutung des Festes. Fest des Friedens oder einfach nur Fest wurden die Feiertage genannt. Der Sowjetimport Väterchen Frost sollte den Weihnachtsmann ersetzen und Adventskalender trugen Anfang der 70er Jahre noch die vermeintlich weniger verfängliche Bezeichnung „Vorweihnachtlicher Kalender“. Bis 1973 waren Kalender mit christlichen Motiven nicht gern gesehen. Es wurden sozialistische Varianten mit Kindern in Pioniertracht verkauft, oder wiedermal Motive aus der Märchenwelt. Obgleich seit 1978 auch christliche Motive eine Druckfreigabe bekommen konnten, dominierten weiterhin Erzeugnisse ohne konkreten christlichen Bezug, wie am ausgestellten „Kalender Vorweihnachtszeit“ zu sehen. Mittlerweile werden in Deutschland Millionen von Adventskalendern gedruckt, mehr als die Hälfte davon geht ins Ausland. Der Kalender mit zu öffnenden Türchen und den sich dahinter befindlichen Schokoladenfiguren zählt zwar weiterhin zu den Klassikern, doch hat sich die Produktpalette längst erweitert auf Spiel- und Werkzeuge, Kosmetika oder Tee- und Gewürzmischungen. Hinter jedem Türchen stecken nun Werte, die vor einigen Jahren noch die vom Mund abgesparten Weihnachtsgeschenke gewesen wären. Doch die Adventskalender mit Bildern und Geschichten haben vielleicht jetzt, angesichts steigender Kosten in nunmehr allen Lebensbereichen, wieder ihren Reiz und erinnern an die vergessene Fastenzeit und die anschließende Belohnung zum Fastenbrechen oder daran, dass in Zeiten drohender Kürzungen und gepredigter Sparsamkeit, an Konsum, nicht aber an Wertschätzung gespart werden sollte.
Das Museumsteam der HEIMATWELTEN Zwönitz wünscht allen ein vorfreudiges Türchenöffnen, eine besinnliche Adventszeit und lädt zum Besuch ein in die laufende Sonderausstellung der Raritätensammlung Bruno Gebhardt, immer zu sehen am Samstag von 13 bis 17 Uhr, letztmalig dieses Jahr am 30.12.
Text: Paula Stötzer