Das Plumpsklo

Beim Rundgang um die Papiermühle, am Mühlgraben über die kleine Brücke und am Wasserrad vorbei, fällt der Blick auf einen schmalen Holzanbau an der hinteren Mühlenfassade. „Hier ist ein Plumpsklo drin.“ erklärt ein Opa seinem Enkelkind den „komischen Kasten“. Um dieses Plumpsklo genauer unter die Lupe zu nehmen, beenden sie den Außenrundgang und gelangen durch den Haupteingang über eine alte Holztreppe in den Wohnbereich, wo einst vier Familien lebten. Etwas versteckt, zwischen „Schwarzer Kammer“ und dem heutigen Sonderausstellungsraum, in dem gerade “Das große Geschäft – eine kleine Geschichte des Klopapiers” ausgestellt ist, entdecken sie das Plumpsklo oder auch „Freischwinger“ genannt… Hinter der Holztür sehen sie eine größere Holzbank mit Deckel und das kleinere Ebenbild daneben.
Hebt man den Klodeckel an, sieht man, dass die Wintermanns keine Jauchegrube unterm Klo hatten, sondern nur einen hölzernen Jauchekasten, der „das Dünne“ in den Mühlgraben sickern ließ. „Das Dicke“ aber musste regelmäßig entleert werden. Dazu wurde der Kasten auf Stangen durch den Hausflur getragen und die Jauche dann in ein Fass geschüttet, das vom Bauern in der Nähe für die Felddüngung genutzt wurde. Immerhin fing man so einen Großteil der Exkremente auf und ließ nicht einfach alles in den Mühlgraben plumpsen.
Ich erinnere mich selbst noch an unser Plumpsklo zuhause. Wir hatten eine Treppe abwärts ein Klo für uns, aber manchmal plumpste geräuschvoll zeitgleich etwas von obendrüber das Rohr zur „Gaugngrub“ hinab. Es roch oft im ganzen Haus nach Jauche und im Klo meiner Oma im Erdgeschoß krabbelten Maden und Fliegen nach oben. Es war schon eine Überwindung als Kind, sich mit dem kleinen Hinterteil in das große schwarze Loch zu hängen, denn man wusste nicht recht, wo man sich festhalten sollte und hatte das Gefühl, ein großes Ungeheuer könnte einem gleich in den Allerwertesten beißen. Außerdem fror man sich im Winter sprichwörtlich das Hinterteil ab, wenn man nicht schnell genug mit dem großen Geschäft fertig wurde.
Da waren die Erbauer des kleinen Kinderplumpsklos in der Mühle sehr umsichtig. Zum Abwischen benutzte man kleingeschnittenes Altpapier, welches in der Papiermühle natürlich immer vorrätig war und bündelweise auf einen Haken gesteckt wurde. Auf dem Freischwinger konnte es auch passieren, dass ein Windhauch die benutzten Zeitungsstreifen wieder hoch wirbelte.
Die heute noch im Museum zu sehende Form des Aborts in der ersten Etage ist vermutlich um 1933 nach dem großen Hochwasser erbaut worden.



Rückseite der Mühle mit Plumpsklo über dem Mühlgraben

Auf einem Foto vom Winter 1929 ist noch der Freischwinger über dem Mühlgraben im Erdgeschoß zu sehen, wo sich die Wohnung vom Gründer der Pappenfabrik Reinhard Wintermann um 1850 befand. Wahrscheinlich wurde dieser Holzanbau beim Hochwasser weggerissen, wodurch man sich veranlasst sah, den Abort eine Etage höher zu legen, wie auf dem Foto von 1950 ersichtlich wird. Die Arbeiter der Papiermühle verrichteten ihre Notdurft bis 1973 auf dem Hinterhof, wo heute unsere blühende Bienenwiese wächst und gedeiht. Dort stand eine Holzhütte über einer Jauchegrube. Diese wurde beim Umbau zum Museum 1980 weggerissen. Fortan benutzten der Museumsleiter und Feierabendarbeiter gemeinsam mit den Wintermanns das Plumpsklo. Erst im April 1984 wurden WCs für Museumsbesucher fertiggestellt, nachdem es im Vorfeld Diskussionen darüber gab, ob es notwendig wäre, die Museumseröffnung bis zur Fertigstellung der Toiletten hinauszuschieben. Der junge Martin Wintermann (*1921 †2013), ein Verwandter des letzten Papiermühlen-Besitzers Eugen Wintermann (*1905 †1990), der in der Papiermühle aufwuchs, entdeckte beim Anheben des Klodeckels einmal eine große Ratte1, die auf dem Jauchekasten saß und verzeichnete alsbald seine ersten Jagderfolge mit einer „Tescheng“.
(Tescheng n. kleinkalibriges Gewehr oder Pistole (19. Jh.); Herkunft ungewiss.
Nach allgemeiner Annahme beruht die Bezeichnung der Waffe
auf dem Namen des Ortes Teschen, ehemals in Böhmen, heute geteilt
in Tschechien (Česky Těšin) und Polen (Cieszyn).)
Dieses Plumpsklo wurde bis Mitte der 80er Jahre von allen vier Familien,
die in der Papiermühle wohnten und zuletzt 1989 von Eugen Wintermann
benutzt.
Unvorstellbar ist in heutiger Zeit, sich dauerhaft eine Toilette mit vier Familien
zu teilen – ohne Wasserspülung, ohne Heizung und ohne „richtiges“
Toilettenpapier.
Text: Antje Henkel-Schilbach

1 aus der Chronik der Papiermühle von Martin Wintermann