Es mag Menschen geben, die den Blick in die Zeiten zurück für eine gestrige und altbackene Weltsicht halten. Doch jene sollten auch bedenken, dass in dieser Logik die eigenen Weisheiten morgen genauso brutal vom Tisch gewischt werden und alles heutiges Tun mit dem Ziel, die Welt besser zu machen, vollkommen sinnlos wird. Nein, auch der moderne Mensch muss wissen, woher er kommt, sollte aufgeklärt sein, bevor er sich daran macht, selbst zu gestalten! Und wenn Besucher oder Einheimische durch unser schönes Zwönitz laufen, dann sollen sie sehen und erfühlen, welche Geschichte hier vor Ort gewirkt hat, warum die Dinge sind wie sie sind und was diese Stadt mit ihren Menschen über die Zeiten prägte. Wenn Steine sprechen könnten …! Tun sie doch, man muss nur genau hinsehen! Zum Beispiel die beiden Steinplatten, die am 2. März von der Fa. Scheunert am Giebel des Hauses Markt 2, am alten und neuen „Blauen Engel“ angebracht wurden.

Der Vorstandvorsitzende der Wohnungsgenossenschaft Zwönitz eG, Tim Schneider, begrüßte die Gäste und erzählte über den geschichtlichen Hintergrund der Gutenberg-Tafeln am „Blauen Engel“. Im Hintergrund: aktuell werden auch Tiefbauarbeiten an den Außenanlagen des angrenzenden Poststalles vorgenommen. Bis September sollen diese beendet sein.

Wer die Neugestaltung des Hauses im vergangenen Jahr durch die Wohnungsgenossenschaft Zwönitz eG aufmerksam verfolgt und auch die schriftlichen Informationen im „Anzeiger“ gelesen hat, der weiß bereits, dass auf dem alten Relief nicht der Weihnachtsmann, sondern Johannes Gutenberg, der Erfinder des Buchdruckes zu sehen ist. Das und ein paar weitere Informationen kann man nun auch auf der Steintafel daneben erfahren. Ein Blick zurück also, in die Geschichte dieses Ortes, die hier vollständig zu erzählen den Rahmen bei weitem sprengen würde. Wer es also tiefgründiger mag, dem sei ein Blick in die beiden Teile unserer Stadtchronik von Uwe Schneider empfohlen.

Dass so ein Blick in die Geschichte sehr lehrreich sein kann, zeigt dieser Ort mitten auf dem Marktplatz. Hier werden die guten und die schweren Momente menschlichen Seins sichtbar. Als Carl Bernhard Ott jun. 1919, also gerademal vor etwas mehr als 100 Jahren, den jahrhundertealten Vorgängerbau erwarb, sprühte er förmlich vor Enthusiasmus. Ein junger Verleger, intelligent, gebildet und doch volksnah. Engagiert in Vereinen und im Stadtrat erweiterte er hier seine Verlagsanstalt und baute eine Druckerei auf. Zum Zeichen brachte er das besagte Gutenbergrelief in einer Fensternische mitten auf der Hausfassade an. Immerhin war der moderne Buchdruck doch die Grundlage für alle zivilisatorische Entwicklung unserer Wissensgesellschaft. Viele Bücher, Broschüren bis hin zur Tageszeitung „Zwönitztaler Anzeiger“ zeugen noch heute von Otts Schaffenskraft und sind ein wahrer Fundus, ohne den die Geschichte unserer Stadt kaum hätte so lückenlos nachvollzogen werden können. Doch die Zeit zwischen den Weltkriegen war keine leichte. Neben wirtschaftlicher Not waren es gerade die politischen und ideologischen Auseinandersetzungen, die die Menschen entzweiten und so die Grundlage für die folgenden Katastrophen schufen. Die einen schwärmten von der Gleichheit und Besitzlosigkeit der Urgesellschaft, ohne dazuzusagen, dass das Leben nackt und ohne alles Eigentum in Lehmhütten auch kein Zuckerschlecken darstellt. Die anderen hielten sich für grandiose Götter, ermächtigt die ganze Welt zu erobern. Hybris auf allen Seiten! Der bürgerliche Ott saß buchstäblich zwischen allen Stühlen. 1941 verboten die Nazis den Druck des „Anzeigers“ und nach dem Krieg nahmen die Kommunisten Rache. Was auch immer die konkreten Beschuldigungen waren, ist fast egal. Der beliebte und meinungsstarke Ott war immer gefährlich, musste am besten weg. Am 10.01.1946 wurde er von der Sowjetischen Militäradministration verhaftet und 1950 in einem der berüchtigten politischen „Waldheimer“ Prozesse zu sechs Jahren Gefängnis und vollständigem Vermögenseinzug verurteilt. Ott kam nie mehr nach Zwönitz zurück, lebte später bis zu seinem Tode 1967 in Scheibenberg.

Das Haus verfiel und wurde 1966 wegen Baufälligkeit abgerissen. Natürlich war der 1968 neubezogene Nachfolgebau, mit seinen für die damalige Zeit recht komfortablen zwölf Wohnungen ein Fortschritt. Doch ein Fremdkörper sollte das viel zu große vierstöckige Haus mit seiner untypischen Ansicht immer bleiben. Ob bewusst oder unbewusst, die Fotografen machten stets einen Bogen darum. Der Marktplatz, das Herz unserer Stadt, wirkte zerrissen und verfremdet.

Nachdem 1992 die Rehabilitierung von Carl Bernhard Ott jun. erfolgt war, stand auch einer Restituierung nichts mehr im Wege. Die Erben erhielten das Grundstück mit dem jetzigen Haus zurück, investierten und vermieteten die Wohnungen bis zum Verkauf an die Genossenschaft 2019. Mit der 2020 fertiggestellten, nunmehr an das alte Haus erinnernden Fassade, war die sichtbare Wunde ein stückweit geheilt. Wer es nicht besser weiß, denkt, hier stünde ein historisches Gebäude.

Fassaden und Ansichten kann man wiederherstellen. Die menschlichen Verletzungen aber, die sich hier ereignet haben, die bringt niemand mehr aus der Welt. Aber man kann an diese erinnern, auch mit den beiden Steinen an der Giebelseite. Wünschen wir uns, dass möglichst viele die Geschichte zur Kenntnis nehmen und daraus die Erkenntnis entwickeln, dass politischer Extremismus und übersteigerter Idealismus egal welcher Couleur, die Verletzung der Eigentumsrechte, ja des Rechtsstaates selbst, unendlich viel Unheil in sich bergen und keinen Boden darstellen, auf dem wir unsere Zukunft gründen sollten!

(Text: WGZ Tim Schneider/ Red.)