Die aktuelle Sonderausstellung „Puppenhäuser – Die gute alte Zeit in Miniatur“ im Heimatmuseum Knochenstampfe Dorfchemnitz wird bis 27.06. verlängert. Doch wie entsteht die Faszination für die eigenen vier Wände, ob im Groß- oder Kleinformat? Wir gehen der Sache auf die Spur. Home-Office, Home-Schooling, Ausgangssperren – das alles führt zur exzessiven Beschäftigung mit den eigenen vier Wänden. Der eine renoviert, was das Zeug hält, bestellt Möbel online, der andere entdeckt Upcycling und DIY (Do it yourself) für sich, oder sortiert radikal aus nach den Methoden von Marie Kondo – einer Beraterin und Autorin aus Japan, die mit einer aufgeräumten Wohnung auch für einen aufgeräumten Geist des Bewohners sorgt. Dabei scheint dieser geradezu „wohnsüchtig“ und muss von der Sammellast befreit werden. Jüngst griff das Phänomen ein TV-Beitrag auf arte von Tim Lienhard unter dem gleichnamigen Titel „Wohnsüchtig“ auf. Der Rückzug ins Private, wenn heute auch erzwungen, ist keine Neuerscheinung, was ein Blick in die Geschichte verrät. Die Wortschöpfung „wohnsüchtig“ bezieht sich auf das Wohnen im 19. Jahrhundert und geht auf den Philosophen Walter Benjamin zurück. Dieser beschrieb in seinem Werk „Passage“ als Modell mit Nippes überfrachtete Samthöhlen, Orte der Weltflucht, die er zu Lebzeiten noch kannte. Ihren Ausgang nahm die Wohnsucht in einer Zeit, in der die großen Umbrüche zu erwarten waren, aber noch nicht eingetroffen sind. Die Rede ist vom sogenannten Biedermeier, eine Kunst- und Kulturepoche, die eine Zeitspanne zwischen dem Ende des Wiener Kongresses 1815 und den Beginn der bürgerlichen Revolution 1848 umfasst. Der politische Stillstand setzte eine Einkehr ins Häusliche, Gemütliche in Gang – in eine eigene, gestalt- und beherrschbare Welt, etwas, das heute wieder recht vertraut erscheint. Walter Benjamin würde an der Stelle von einem Verstecken hinter schweren Samtvorhängen sprechen, oder von einem Einhausen in einem Gehäuse voller Gehäuse (gemeint sind Etuis, Schatullen, Schächtelchen, Taschenuhren – alles beliebte Gegenstände des 19. Jh.). Mit dem Erstarken des Bürgertums in der Gründerzeit bis zur Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts war das Wohnen als eingerichtete und gelebte Wohnkultur nicht länger Luxus des Adels, sondern Spielraum der Bürger, die sich eben mit allerlei „Gehäuse“, Textil und Muster austobten. Das kapitalistische System befeuerte zudem das Horten und Anhäufen von Besitzgütern. Im Umfeld des Bürgertums entstanden auch eigene, private Sammlungen – der Grundstein vieler Museen, war somit gelegt. Im Museum selbst lässt sich heute das Thema Wohnkultur anhand zahlloser Einrichtungsgegenstände präsentieren. Interessant daran ist, dass jede Zeit ihre Möbel, ihre Dekoration und Stile hat. Letztlich ist die Einrichtung nicht nur Spiegelbild der Seele einer Person, sondern auch einer Gesellschaft, eines Zeitgeistes und – gefühls. Nun hat nicht jedes Museum die Größe eines Bahnhofs und kann kilometerlang Schränke sämtlicher Epochen nebeneinander stellen (das wäre auch langweilig). Wohnkultur lässt sich ebenso im Kleinen entdecken, in Puppenstuben zum Beispiel. Sie sind gespiegelte Lebenswelten, ein Abbild menschlichen Geschmacks. Die Sonderausstellung „Puppenhäuser – Die gute alte Zeit in Miniatur“ im Heimatmuseum Knochenstampfe Dorfchemnitz eröffnet Einblicke in die bürgerliche und kleinbürgerliche Wohnkultur. Mit dem Interieur wird das Puppenhaus auch zu einem Musterbeispiel gediegener Handwerkskunst verschiedener Berufsgruppen. Die Puppenhausarchitekten sind zugleich Maler, Fliesenleger, Polsterer, Elektriker und vieles mehr. Die Lupe und Pinzette sind ihre Werkzeuge. Es zeigen sich Nachbildungen prachtvoller Salons, Drechselmöbel des Spätbiedermeiers, Inszenierungen der Werkbundkunst neben Einrichtung der 1950er Jahre. Die Arbeit und Kunstfertigkeit, die in einem Puppenhaus steckt, schließt eine Funktion als Kinderspielzeug nahezu aus. Das erste bekannte Puppenhaus ließ Herzog Albrecht V. von Bayern 1557 errichten. Auch wenn es bei einem Brand zerstört wurde, verweist das erhalten gebliebene Inventar auf eine prunkvolle Ausstattung, die offensichtlich nur der Anschauung diente. Bis ins 18. Jahrhundert erfüllten Puppenhäuser eher Repräsentationszwecke. Erst im frühen 19. Jahrhundert wurde das Spiel als Erziehungsmittel entdeckt und dem Spieldrang der Kinder mit Spielzeug begegnet. Puppenhäuser bekamen eine neue Bedeutung. Mädchen sollten damit an die umfängliche Hausarbeit herangeführt und Jungen verstärkt mit Kaufmannsläden auf geschäftliches Denken vorbereitet werden. Auf manche Kinder haben Puppenstuben noch heute diese Wirkung. Oft sind sie aber Sammel- und Bastelobjekte der Erwachsenen. In Dorfchemnitz sind Puppenhäuser des Ärzte- Ehepaares Göpel aus Dresden zu bestaunen. Wochenlang wurde diese Schau aufgebaut, mit viel Fleiß und Geduld. Alles ist handgefertigt, jedes noch so winzige Detail. Diese “Heile Welt“ blieb bisher ironischerweise hinter Museumstüren verschlossen. Die Ausstellung geht deshalb bis Ende Mai in die Verlängerung und das Museum hofft auf baldige Öffnung, verbunden mit der Möglichkeit, kleine und große Kinder, wohnsüchtige und kulturinteressierte Erwachsene zu erfreuen. Vielleicht bietet es Anregung für das eigene Puppenhaus, das, nachdem die Wohnung schon vollgestellt ist, für den Einrichtungsdrang in Zeiten von Corona herhalten muss. Auch diese Wohnungen werden ein Bild unserer Zeit, wahrscheinlich im Retro-Shabby-Chic-Stil (Erfindung von ebay- Kleinanzeigen), liefern.
Text: Paula Stötzer