Krempel GmbH + Co. Pressspanwerk KG feiert dieses Jahr dreißigjähriges Jubiläum. Jüngst berichtete der Zwönitzer Anzeiger über diesen feierlichen Anlass sowie über die Erzeugnisse der Firma. Dass hier in Zwönitz Teile für die Luftfahrtindustrie hergestellt werden, dürfte den einen oder anderen überrascht haben. Dabei genoss die ehemalige Papiermühle und das Fundament des Betriebes mit wahrhaft bodenständigen Produkten lange zuvor Weltruf. Die kleine Serie zur aktuellen Sonderausstellung in der Papiermühle Niederzwönitz „Vom Eisenhammer zur Luftfahrt-Hightech – 600 Jahre Industriekultur“ berichtet in diesem Teil von einem recht ungewöhnlichen Pressspanerzeugnis, das, in Betten gelegt, zu besserem Schlaf verhelfen sollte. Um 1790 begann die Papiermühle Zwönitz (nicht zu verwechseln mit der Papiermühle Niederzwönitz!) unter Friedrich August Sendig erstmals im mitteldeutschen Raum mit der Produktion von Pressspänen. 1802 erhält Sendig dafür sogar eine sächsische Staatsprämie. Pressspan ist ein hochwertiges, dichtes Pflanzenfasermaterial, das glatt sowie hart gewalzt und meist noch mit Hochglanz versehen wird. Ursprünglich wurde Pressspan in der Textilindustrie zum Pressen (statt Bügeln) für Gewebesorten aller Art verwendet. Doch sollte der Pressspan aus Zwönitz vermeintlich auch auf dem Einsatzgebiet der Medizin nützliche Eigenschaften aufweisen. Die Brüder Rudolf und Richard Koch übernahmen nach ihrem Vater Oscar Koch die Pressspanfabrik und stellten Pressspäne für die Appretur (in der Textilindustrie), Elektrotechnik, Lithografie und andere Zwecke her. Ab 1934 produzierte Rudolf Koch Schutzplatten unter der Bezeichnung „Sendigplatten“ als Betteinlage. Ein Werbeprospekt der „Sendig“- Schutzplattenfabrik Gebr. Koch Zwönitz i.Sa. von 1934 verrät: „Die Erdstrahlen können den Schlaf des gesunden und kranken Menschen stören. Unruhig wirft er sich auf seinem Lager hin und her, ohne daß er den Grund der quälenden Schlaflosigkeit weiß. Diese Erdstrahlen aufzuheben und sich vor ihnen zu schützen, ist uns restlos gelungen durch unsere bewährte Sendig-Schutzplatte!“ Dies sei laut Prospekt „einwandfrei mittels Wünschelrute festgestellt“. Die Wirksamkeit würde durch Mediziner und Professoren wie Privatleute bestätigt, deren „Anerkennungsschreiben“ in einer beigelegten Broschüre nachzulesen wären. Die Schutzplatten gegen Erdstrahlen waren ein Produkt ihrer Zeit. 1929 führte der deutsche Naturforscher Gustav Freiherr von Pohl das Konzept der Erdstrahlen ein, in dem er von unterirdischen Wasseradern ausging, die für Menschen, Tiere und Pflanzen schädliche Strahlung aussenden würden, die die Erdoberfläche durchdringen und von besonders begabten Menschen (Radiästheten) aufgespürt werden können. Zwischen 1930 und 1945 erreichten die Erdstrahlentheorien ihre Hochblüte. Anstoß für derartige Überlegungen gab sicherlich die Erforschung von Strahlenschäden. 1898 entdeckten Marie Curie- Sk³odowska und ihr Mann Pierre Curie das Radium und schufen den Begriff der Radioaktivität. Seit Herbst 1898 litt Marie Curie an Entzündungen der Fingerspitzen, welches die ersten bekannten Symptome der Strahlenkrankheit waren. Daraus wurde die Erkenntnis gewonnen, dass ionisierende Strahlung aus natürlichen und künstlichen Strahlenquellen eine schädigende Wirkung auf lebende Organismen haben kann. Sogenannte Erdstrahlen hingegen, die da entstünden, wo Wasseradern, Erdverwerfungen und Gesteinsspalten das Magnetfeld der Erde störten, sind bis heute physikalisch nicht nachweisbar. Auch sind deren Auswirkungen wie sie von der esoterischen „Wissenschaft“ der Radiästhesie beschrieben werden, naturwissenschaftlich nicht belegt. Hierbei spielt offenbar der Placebo-Effekt eine entscheidende Rolle. Denn bis ein behördlicher Einspruch den Verkauf der Sendig-Schutzplatten 1941 einstellte, wurden jährlich immerhin 100.000 solcher Platten verschickt. Darüber hinaus gingen bis 1965 immer wieder Bestellungen für die Schutzplatten ein, insbesondere von Sanatorien und Heilanstalten in Westdeutschland und im Ausland. Möglicherweise befinden sich auch bei Ihnen Pressspanplatten unter der Matratze, die als „Sendig-Schutzplatte“ etikettiert sind?
Sehen Sie doch mal nach. Das Museum würde sich freuen, hätte es diese spezielle Pressspanplatte in der Sammlung. Gern nimmt das Museum eine Schenkung entgegen, natürlich nur, wenn der Schenker keine plötzlichen Schlafstörungen befürchtet!
Text: Paula Stötzer