So eine Woche wünscht sich wohl kaum ein Zwönitzer gleich wieder. Am Sonntag, dem 16.05.2021, startete 19.00 Uhr auf dem Markt der nicht angemeldete und damit rechtswidrige Demonstrationsmarsch mit etwa 350 Teilnehmern. Dieser wurde von rund 60 Polizisten begleitet. Nach Angabe der Polizei wurden anhand von Videoaufnahmen und Fotos im Nachgang Anzeigen gegen Teilnehmer gefertigt. Am Montag fand dann eine angemeldete Kundgebung von Linken, SPD, Grünen und dem Bündnis gegen Rassismus mit etwa 120 Teilnehmern ebenfalls auf dem Markt statt. Stadträtin Heike Oelschlägel (Linke) forderte ein „Nein zu Hass und Rassismus“ und ein „Ja zu respektvollem Miteinander“. Hier waren rund 120 Polizisten im Einsatz, die gegen einige der ca. 80 Beobachter aus dem rechten Spektrum Anzeigen verhängten. Zwönitzer Unternehmer um Steffen Hahn und Peter Voigt führten dann am Donnerstag um 19.00 Uhr eine genehmigte Kundgebung durch, um auf die negativen Auswirkungen der Corona-Vorschriften für Handwerk, Handel, Gastronomie und Dienstleistungsunternehmen aufmerksam zu machen. Er übte Kritik an einigen Coronamaßnahmen von Bund und Land, die für viele nicht mehr nachvollziehbar sind. Etwa 300 Personen fanden sich hierfür auf dem Markt ein, unter ihnen nahezu der gesamte Stadtrat. Begleitet wurde diese Versammlung von rund 120 Polizisten. Nach Angabe der Polizei mussten hier keine Verstöße geahndet werden.

Steffen Hahn brachte sowohl auf dem Markt als auch direkt beim Ministerpräsidenten die Nöte und Wünsche der Zwönitzer Unternehmer auf den Punkt

Doch damit noch nicht genug. Am darauffolgenden Freitag wurde vom Landratsamt auch noch eine Versammlung der von Rechtsextremen geführten Partei „Freie Sachsen“ wiederum auf dem Markt genehmigt. Etwa 350 Zuhörer waren hierzu gekommen. Da sich gleichzeitig Ministerpräsident Michael Kretschmer auf Einladung des Gewerbevereins zu einem Gespräch mit Unternehmern und Vereinen im Brauereigasthof aufhielt, waren zu diesem Zeitpunkt sage und schreibe 240 Polizeibeamte in Zwönitz im Einsatz. Das Zentrum unserer schönen Bergstadt glich jedes Mal einer Festung und die Medien gaben sich nahezu pausenlos die Klinke in die Hand. Bürgermeister Wolfgang Triebert entschied sich, der Einladung Zwönitzer Unternehmer für die Versammlung am Donnerstag zu folgen. Sonst nahezu immer freisprechend hatte er für die besondere Situation eine schriftliche Einschätzung vorbereitet:

„Lieber Zwönitzerinnen und Zwönitzer, werte Gäste, unsere liebenswerte Bergstadt ist wieder einmal im Brennpunkt der Medien. Doch diesmal nicht wegen der großartigen Zwönitztalradtour, auch nicht wegen der grandiosen Kirmes, nicht wegen der berühmten Hutzentage und auch die weithin einmalige Lichtmessfeier ist nicht der Grund des Interesses. All diese tollen Großveranstaltungen durften in den vergangenen zwölf Monaten wegen Corona nicht stattfinden. Unsere beschauliche Kleinstadt ist ungewollt zum Sinnbild der Zerrissenheit in unserer Gesellschaft gemacht worden. Auf der einen Seite steht der Protest gegen die zwangsweise Schließung von Schulen, Kindertagesstätten, Sporthallen, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Hotels, Gaststätten, Einkaufsläden oder Dienstleistungsbetrieben. Auf der anderen Seite steht die reale Angst vieler, sich selbst, einen Freund oder einen Verwandten mit dem Virus zu infizieren. Die Stadt Zwönitz und ich als Bürgermeister haben weder den Virus erfunden, noch haben wir diesbezügliche Gesetze oder Verordnungen gemacht. Die Stadtverwaltung hat die Vorschriften von Bund und Land genauso umzusetzen, wie jeder Bürger auch. Auch für meine 180 Mitarbeiter habe ich zweimal wöchentlich einen Coronatest anzubieten, Homeoffice zu ermöglich und vielerlei Hygienemaßnahmen umzusetzen. Auch viele meiner Mitarbeiter stehen vor der Mehrfachbelastung aus Beruf, Kinderbetreuung und Homeschooling. Und vor wenigen Tagen musste eine Mitarbeiterin gegen ihren Willen als Kontaktperson in Quarantäne, obwohl sie nachweislich Antikörper besitzt. Und so geht es vielen Unternehmen, Familien und Einzelpersonen. Da ist es nicht verwunderlich, dass die Nerven teilweise blank liegen und sich Wut aufstaut. Aber dies ist kein Zwönitzer Problem allein. Vergleichbare Fälle gibt es in der gesamten Bundesrepublik. Überall öffnen sich Ventile und der Unmut über die Einschränkungen der Grundrechte verschafft sich Bahn. Warum aber haben die Medien ein so großes Interesse gerade an uns gefunden? Wir hatten das Pech, dass wir die erste Kleinstadt waren, wo während eines Demonstrationsmarsches gegen die Corona- Maßnahmen die Polizei massiv eingriff. Noch nie zuvor, weder zu Zeiten der DDR noch in den mehr als 30 Jahren nach der Wende, war ein Einsatz einer Polizei-Hundertschaft in Zwönitz notwendig geworden. Die Zwönitzer Protestzüge wurden durch einige wenige Reichsbürger angeheizt, von denen sich der Stadtrat genauso distanziert, wie von allen radikalen Randgruppen. Die so entstandenen Bilder verbreiteten sich in Windeseile im Internet und stachelten weitere radikale Randgruppen förmlich an, unsere friedliche Stadt wiederholt aufzusuchen und die Polizei zu provozieren.

Ich habe zahlreichen Zuschriften erhalten und Gespräche geführt. Sie belegen, dass sich viele Zwönitzer intensiv mit der momentanen Lage auseinandersetzen und Sorge um unsere schöne Stadt haben. Die meisten Zwönitzer haben mittlerweile aber kein Verständnis mehr für illegale Demonstrationen, welche die Polizei zum Eingreifen zwingen. Viele äußern die Hoffnung, dass solche Kundgebungen wie am Montag, heute oder auch morgen Abend bald nicht mehr notwendig sind und wieder Ruhe in unser beschauliches Städtchen einzieht. Morgen will Ministerpräsident Michael Kretschmer einer Einladung des Zwönitzer Gewerbevereins folgen, um mit Unternehmern und Vereinen zu diskutieren. Der Stadtrat hatte der Bevölkerung angeboten, ihre Sorgen, Nöte und Wünsche auf Fotos festzuhalten. Die daraus entstandene Collage werden wir bei dieser Gelegenheit übergeben. Die vor kurzem von der Staatsregierung angekündigten Lockerungen und die momentan stark fallenden Neuinfektionen sind ein Silberstreif am Horizont. Die vom Stadtrat angemahnte Aufhebung der Maskenpflicht im Freien soll in Kürze kommen. Und wenn dann die Wocheninzidenz hoffentlich bald unter 50 liegt, wird sich das Leben ein ganzes Stück normalisieren. Leisten wir – jeder einzelne für sich – einen Beitrag dazu, dass es zu weniger Neuinfektionen kommt. Dann haben wir uns innerhalb der nächsten 4 Wochen viele Freiheiten erkämpft.“

Ministerpräsident Kretschmer (rechts) und Polizeipräsident Kretzschmar nehmen die Sorgen und Wünsche der Zwönitzer mit nach Dresden und Berlin

Wie angekündigt überreichte der Bürgermeister am nächsten Tag die Collage nach einer mehr als zweistündigen, intensiven und offenen Diskussionsrunde an den Ministerpräsidenten. Dieser hatte wiederum den Landespolizeipräsidenten Horst Kretzschmar aus Dresden mitgebracht, welcher sich dafür entschuldigte, dass es nicht rechtzeitig zur engen Kommunikation zwischen der Einsatzleitung und dem Stadtrat gekommen war. Er nimmt das geäußerte Unverständnis über die anfängliche Einsatztaktik mit und wird sich über die Sachlage ein genaues Bild machen. Als Fazit seines Besuches und im Hinblick auf die parallel laufende Demonstration äußerte Ministerpräsident Kretschmer: “Ich habe in Zwönitz Menschen getroffen, die ganz klar sagen, sie wollen mit den Rechtsextremisten, die schon häufiger jetzt auch nach Zwönitz gekommen sind, nichts zu tun haben”. Dem Vizevorsitzenden der “Freien Sachsen” und Funktionär der NPD, Stefan Hartung, warf der Ministerpräsident vor, die Gesellschaft durch Angst, Zwiespalt und Hass zu spalten. “Sie schrecken vor nichts zurück, um die Werte, für die ich und viele Menschen in unserem Land stehen – Respekt, Anstand, Nächstenliebe – zu diskreditieren”, erklärte er. Kretschmer verteidigte zugleich das Recht auf freie Meinungsäußerung. “Dazu gehören auch Demonstrationen, aber unter Einhaltung der Regeln und Hygienemaßnahmen. Es gibt hier viele Menschen, die auf anständige Art und Weise auf Ungerechtigkeiten infolge der Corona-Krise aufmerksam machen wollen und darauf, dass sie sich eine Hoffnung wünschen. Ich bin beeindruckt über die Haltung, die ich hier erlebt habe.”