Es ist farbig und leuchtet bei Lichteinfall. Ornamente vergangener Stilepochen rahmen symbolgeladene Bilder. Es ist ein Kunstwerk im Gesamtkunstwerk: das einzig erhaltene Bleiglasfenster der Austelvilla. Die Fabrikantenvilla, benannt nach ihrem Bauherren Alexander Gustav Friedrich Austel, wurde 1885-1886 im Stil der Neorenaissance errichtet und erstaunt mit einer prunkvollen Innenausstattung, die die Fassade nur erahnen lässt. Aufwendige Parkettfußböden, Stuckdecken, Wand- und Deckenmalereien sowie zweiflügelige Eingangstüren mit Wurzelholzfüllung stellen den erlesenen und kunstsinnigen Geschmack des Bauherrn unter Beweis. Behutsame Freilegung und Restaurierung machen den Schatz heute sichtbar. Der Erhaltungszustand ist ein Glücksfall angesichts der zahlreichen Umnutzungen und Umbauten der Villa während der Kriegs- und Nachkriegszeiten. Sie war u.a. Sitz der russischen Kommandantur und Lehrlingswohnheim der Agrargenossenschaft. In diesen Wirren müssen auch Bleiglasfenster entfernt worden sein, die sich womöglich an repräsentativer Stelle des Treppenaufgangs befanden. Eines der Bleiglasfenster konnte durch Umwege gerettet werden. Es hing viele Jahre in Zwönitz in einem Privathaushalt. Beim Verkauf des Hauses erwarb die Stadt das Fenster zurück und lagerte es für lange Zeit ein. Als der Anbau der Austelvilla 2021 abgerissen werden sollte, kam nicht nur vergessenes Museumsgut der Raritätensammlung Bruno Gebhardt zum Vorschein, sondern auch eine Kiste mit Fragmenten alter Bleiverglasung. Da fiel auch das eingelagerte Bleiglasfenster aus der Austelvilla wieder in den Blick. So kam eins zum anderen und die Idee reifte, das Fenster restaurieren und am ursprünglichen Platz einsetzen zu lassen. Eine Führung durch die Villa zum Tag des offenen Denkmals 2021 brachte bereits eine kleine Spende für das Vorhaben ein und mit Fördergeldern der Stiftung der Erzgebirgssparkasse konnte das Museum die Idee verwirklichen. Die Kunstglaserei Gauser in Thalheim übernahm die aufwendige Restaurierung, die auch Ergänzungen beinhaltete, denn tatsächlich passte nur eines der gefundenen Fragmente zum Austel’schen Fenster. Bleiglasfenster bestehen aus einzelnen Glasstücken, die wiederum mit Bleiruten eingefasst und entlang der Kanten miteinander verlötet werden. Sie sind in Europa seit dem Hochmittelalter üblich und waren lange die einzige Möglichkeit, Wand- und Deckenlöcher zu verschließen. Denn größere Glasflächen konnten beim Abkühlen des Flüssigglases leicht reißen. Erst mit der Herstellung von Echtantikglas und Flachglas war die Verglasung größerer Flächen problemlos möglich. So blieb den Glasmachern des Mittelalters nur der Weg, kleine Glasscheiben herzustellen und diese mittels Bleiruten zu verbinden und zu kitten. Durch die Verwendung unterschiedlich gefärbter Glasstücke entstanden Bildfenster, die den scheinbaren Nachteil zu einer eigenen Kunstform erhoben, die sich über Jahrhunderte hinweg ungebrochener Bewunderung und Beliebtheit erfreut. Waren Bleiglasfenster zunächst nur in Kirchen, Kathedralen und in nur wenigen profanen Bauwerken wie Schlössern und Rathäusern zu finden, hielten sie spätestens mit dem Historismus im 19. Jahrhundert auch Einzug in Bauten des Bürgertums wie Kureinrichtungen, Bildungsund Kulturstätten, Mietshäusern und, wie in diesem Fall, Fabrikantenvillen. Damit änderten sich auch die Bildmotive der Bleiglasfenster. Heiligenbilder wichen geometrischer oder vegetabiler Ornamentik, Fabelwesen und Sagengestalten. Die Motive spiegeln nun die Funktion des Bauwerkes wider, repräsentieren die Bauund Hausherren, unterstreichen oder bilden Kontraste. Herr Austel legte sowohl beim Bau als auch bei der Ausstattung seines Wohnhauses großen Wert auf Details, die sein Kunstverständnis veranschaulichen sollten. Anhand des Bleiglasfensters lässt sich das deutlich ablesen. Das Galgenfenster besteht aus einem zweiflügeligen Fenster und einem ungeteilten Oberlicht. In den drei Scheiben befindet sich jeweils ein von Akanthusranken umgebener Zierrahmen, der wiederum von Rollwerk eingefasst ist. Dieses Stilelement war typisch für den Manierismus, ein Stil der Übergangsphase zwischen Renaissance und Barock, der durch eine Sprache mit überreichen Metaphern und mythologischen Anspielungen gekennzeichnet ist. So verwundert es nicht, dass auch die gerahmten Bilder als Allegorie der Tageszeiten zu lesen sind, das heißt als bildliche Darstellungen eines abstrakten Begriffs. Der linke Flügel zeigt einen Hahn, der den Morgen mit dem ersten Hahnenschrei begrüßt. Er steht auf einem Spruchband mit entsprechender Bezeichnung und ist einer Trichterwinde zugewandt. Diese Blühpflanze gehört zu den Eintagesblüten, da sie die Blüten am Morgen öffnet und bereits in der Nachmittagszeit verblüht. Im Englischen wird sie daher auch „Morning Glory“ genannt. Im rechten Flügel ist eine Seelandschaft mit dem Spruchband „Der Abend“ zu sehen. Hier flattert eine Fledermaus ins Bild, die bekanntermaßen in der Abenddämmerung zur Jagd aufbricht. Im Oberlicht blickt dem Betrachter ein Eichhörnchen entgegen. Dieses scheinbar pausenlos geschäftige, tagaktive Tier umklammert eine Walnuss. Eichhörnchen knacken jede noch so harte Nuss, um an die begehrte Nahrung zu kommen. Daraus leitet sich die Redewendung ab: „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“, die im übertragenen Sinne bedeutet, dass ein gewisses Vorhaben langwierig und nur mit Mühe auszuführen ist. Das trifft auch auf das Förder- und Restaurierungsvorhaben für das Fenster zu. Doch eine andere Redewendung sagt: „Was lange währt, wird endlich gut“ und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Tatsächlich ist es für jeden Besucher sichtbar, der die Raritätensammlung Bruno Gebhardt betritt. Im Eingangsbereich leuchtet es mit magischer Anziehungskraft und es scheint fast so, als wäre es schon immer da gewesen.

Text: Paula Stötzer