Es ist ein ungewöhnliches Buch, das in diesem Jahr im deutschen Buchhandel zu erwerben ist. Die Kategorie Autobiografie – sie ist es tatsächlich – greift aber zu kurz, denn zur Bestandsaufnahme eines Lebens zwischen Deutschland und den USA taucht der Leser tief in deutsch-amerikanische Beziehungen zwischen 1945 und der Gegenwart ein, besonders in den langen Jahren, die über dem Atlantik von einer Vernachlässigung der deutschen Sprache und Kultur geprägt waren. Doch folgen wir zunächst den Spuren unseres Autors. Wir erfahren in bewegten und für unsere Stadtgeschichte wertvollen ausführlichen Schilderungen, dass den vielen hellen Jahren sechs dunkle Zwönitzer Jahre vorausgingen. An der Hand seines Vaters Ernst sah der 1939 Geborene am flammenden Himmel im Februar 1945 den Untergang Dresdens, sah mit seinen Geschwistern aus dem Dachfenster der elterlichen Villa nach dem Luftangriff auf Zwönitz am 20.04.1945 die Fabrik seines Vaters an der Grünhainer Straße brennen. Keine guten Vorzeichen für künftige persönliche deutsch-amerikanische Beziehungen. Noch weitaus schlimmer waren die Erfahrungen der Unternehmerfamilie mit den Sowjetsoldaten schon während der sechs Wochen im unbesetzten Zwönitz, weitaus gefährlicher als Besatzungsmacht: Die erste Verhaftung des Vaters, Hausdurchsuchungen und Plünderungen. Inmitten aller Ängste die Spiele unter Kindern, zumeist Ableger von Flüchtlingen aus der überbelegten Villa in der Wiesenstraße. Im November 45 dann die zweite Verhaftung Ernst Trommlers, ausgelöst von Verleumdungen örtlicher Kommunisten, die den Unternehmer und Familienvater bis Weihnachten 1949 als Kriegsgefangenen in den Lagern der Sowjetunion festhalten sollten. Das zähe Festhalten der Mutter am gefährdeten Besitz der Villa, ihr Kampf mit dem Bruder ihres Mannes, Paul Trommler, um die Firma mit der Wiederingangsetzung, der Freitod vom Vater. Zwar habe ich die wichtigsten Daten und Fakten in meiner Stadtchronik umrissen. Was aber das Lesen von Frank Trommlers Buch so wertvoll für die Geschichtsschreibung unserer Stadt, zunächst auf ganzen 27 Seiten so wertvoll macht, ist ein authentischer Bericht eines Zeitzeugen, der emotional berührt. So zum Beispiel, wenn er schildert, wie ein Lehrer den 8- und 9jährigen Kapitalistensprössling in die Zange nimmt. Ähnliches ist mir auch widerfahren, das Kapitel Junge Pioniere eingeschlossen. Interessant, aber für einen 11-jährigen gutsituierten Flüchtling aus der DDR nicht ungewöhnlich, der weitere Lebensweg. Die ersten beiden Jahre in Kleve in bürgerlicher Wohlhabenheit, der Umzug zum Stiefvater nach Offenbach, die Zeit als Gymnasiast in der altsprachlichen Abteilung des dortigen Leibnitz-Gymnasium, überall spürte der junge Trommler auch die Enge der durch die Restauration der bürgerlichen Lebensweise mitgeprägten Verhältnisse im deutschen Wirtschaftswunderland. Der erste Ausbruch erfolgte mit dem Besuch der Documenta 1955 in Kassel und der Hinwendung zur Moderne. Neue Welten erschlossen sich dem Gymnasiasten als regelmäßigen Besucher der Offenbacher Stadtbücherei. Autoren wie Plieviers (Stalingrad), Kirst (Null-acht-fünfzehn), Kogon (NS-Staat) und Reitlinger (Die Endlösung), weckten in ihm den Widerspruch zu den damals gängigen Auffassungen der Vätergeneration über Nazismus und Krieg. So fand der vorgesehene Abiturredner im Frühjahr 1959 den Mut, vor versammelter Schüler-, Lehrer- und Elternschaft, die Erzieher aufzufordern, sich der NS-Vergangenheit zu stellen. Nach der Mitarbeit an der Schülerzeitung „Die Pauke“ wuchs in dem Abiturienten (1959) der Wunsch, das Handwerk des Journalisten zu lernen. Dabei führte ihn der Weg ein Jahr zur „Offenbacher Ost.“ Als Volontär erlebte der junge Lokalreporter das mühsame Geschäft in Tages- und Nachtarbeit unter dem Maximen: gut und klar zu formulieren sowie genau zu sein. Natürlich fand er im Profil seiner Zeitung den politischen Hintergrund, der erlaubte, kritischen Geistes zu schreiben. Unter der Überschrift „Hitlers Erben auf Reisen“ widmet der Autor genügend Raum für seine Erlebnisse, die seinem Drang nach der Welt belegen: die Moped-Tour als 16-Jähriger nach Novara (Italien), die Radtour durch England 1954, die selbst organisierte Fahrt mit Gymnasiasten 1957 nach Griechenland, Kreta, Tunesien, die Reise mit Frankfurter Studenten 1960 nach Ägypten. Es waren nicht allein die touristischen Höhepunkte, die den jungen Reisenden beeindruckten. Führten sie ihn doch oftmals an Orte, die mit den schrecklichen Geschehnissen des II. Weltkriegs verbunden waren und den jungen Deutschen in Gesprächen mit der Geschichte seines Landes konfrontierten. Erfahrungen, die meine Generation Mitte der 1960 Jahre auf organisierten Reisen von Jugendtourist in die CSSR, Ungarn, Bulgarien und der Sowjetunion ebenfalls durchlebte. Allerdings sehe ich heute neidvoll weniger auf die uns damals verschlossenen Urlaubsziele, sondern mehr auf die Ungebundenheit des Reisens bundesdeutscher Jugend, die uns in der DDR versagt blieb. Es ist an dieser Stelle weder Raum noch Zeit ausführlich über die Eindrücke Frank Trommlers in der Zeit seines Studiums in Berlin, Wien und München zu berichten. In München wurde er auf der Liste der Unabhängigen in der AStA zum Kulturreferenten des Studentensenats bestimmt, merkte aber bald, dass er sich zum Berufspolitiker nicht gerade eignete. Eher fand er in der linken Studentenzeitschrift „Profil“ eine Heimat, die auch seinen karikaturistischen Fähigkeiten Nahrung bot. Schon als Germanistik- Student erkannte er, dass die Wissenschaft von der modernen deutschen Literatur erst dann festen Boden unter den Füßen gewinnt, wenn sie die Literatur der Weimarer Republik, des Dritten Reiches und der Emigration verarbeitet habe. Als Zwönitzer mit Kenntnis des Aufstieges und des Falls des Unternehmens Trommler und eigenen Erleben unter kommunistischen Vorzeichen, habe ich in bisherigen Zeilen versucht, den Leser zu vermitteln, warum und wie der Weg des Autors bürgerlichen Geblüts zum Anhänger der neuen Linken („ohne rote Fahne!“) führte. Allein diese Periode, einschließlich der persönlichen Eindrücke beim Besuch des Ausschwitzprozesses 1963 in Frankfurt, war aufschlussreich und lesenswert. Im Eiltempo überfliege ich die Jahre im Leben des 1965 promovierten Dr. Phil. Dazu gehören höchst interessante Reisen nach und durch Amerika: Die USA bis fast zur Hälfte mit akademischen Vorträgen finanziert, Südamerika zusammen mit seiner späteren ersten Frau. Völlig unentschieden war lange Zeit auch die Frage nach dem zukünftigen Beruf: Journalist oder Wissenschaftler. 1967 eine gewissen Vorentscheidung: die Einladung von Havard German Department, im Herbstsemester als Gastdozent zu unterrichten. Der amerikanische Lebensweg zeichnete sich ab, unterbrochen von einer ungewöhnlichen Weltreise, angereichert mit Vorträgen in den Goethe-Instituten der besuchten Länder: Indien, Sri Lanka, Pakistan, Hongkong, China, Malaysia, Kambodscha, Philippinen, Indonesien, Japan. Für uns DDR-Deutsche äußerst spannend, die Reise durch Breschnews Sowjetunion. Die folgenden Kapitel machen es für den Laien, speziell den literarisch unbeleckten Zwönitzer mit leider mangelhaften Englischkenntnissen, schwer, sich durch die Vielzahl der Ereignisse, Anschauungen, wissenschaftlichen Statements und die ungeheuere Anzahl unbekannter Persönlichkeiten durchzuwinden. Deshalb nur Stationen des weiteren Lebensweges in den USA: 1967-69 Gastdozent an der Harvard University Cambridge, 1970-2007 Professor für Germanistik an der University of Pennsylvania in Philadelphia, mit Gastprofessuren in Princeton und an der Johns Hopkins University. Er lehrte deutsche Sprache, Literatur und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts und seit 1985 auch vergleichende Literaturwissenschaft. Er war 1980-86 Vorsitzender der Abteilung und seit 1994 mehrmals Stellvertreter. Von 1996 bis 2000 war er außerdem amtierender Vorsitzender der Abteilung für slawische Sprachen. Trommler war 1984/85 Guggenheim-Stipendiat und von 1986-1990 Präsident des AATG Kapitels Philadelphia (Verband der Deutschlehrer), 1991/92 Präsident der Germann Studies Association und Direktor des Humanities Program am American Institute for Contempoary German Studies in Washington, DC. Was sich unter all den Stationen seines Lebensweges verbirgt, welche Erfolge unter Mühen und Widerständen erreicht wurden, schildert der Autor sehr ausführlich. Im August 2014 erhielt er zum 100. Jahrestag der Middlebury Language Schule die Ehrendoktorwürde. Den Höhepunkt seiner Karriere bildete sicherlich die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 2004, persönlich verliehen durch den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau. Um den Fokus wieder auf Zwönitzer Geschehnisse zu richten, empfehle ich den Bericht des Autors über sein erstes Wiedersehen mit seiner alten Heimat nach mehr als 30 Jahren. Dr. Klaus Walther und Gattin Katharina waren 1987 die Gastgeber. Aufschlussreich auch seine Besuche an der Seite seines Bruders Klaus Trommler 1991 zur Klärung der Besitzverhältnisse in einem Zwönitz, das sich gerade auf dem Weg machte, eine moderne attraktive Kleinstadt zu werden. Der Verkauf der elterlichen Villa in der Wiesenstraße erwies sich für unsere Stadt als Glücksfall, da wir dadurch das Staatliche Amt für Landwirtschaft beherbergen konnten. Geradezu emotional schildert Frank Trommler das neue Zwönitz im Jahre 1994, gekrönt durch die Ehrung seiner Familie mit der Weihe der Albin- Trommler-Straße. Frank Trommler, seit 2007 emeritierter Professor, hat ein gewaltiges wissenschaftliches Werk hinterlassen. Ich erinnere nur an die auch in Deutsch erschienenen: „Roman und Wirklichkeit“ (1965), „Sozialistische Literatur in Deutschland“ (1976), „Die Kultur der Weimarer Republik (1978), „Amerika und die Deutschen“ (1986) oder an die erste umfassende Studie zur deutschen Kulturdiplomatie „Kulturmacht ohne Kompass.“ Das hier von mir vorgestellte neue Werk ist sicherlich das persönlichste Buch unseres Autors und wird hier in der alten Heimat interessierte Leser finden. Ich hoffe, dass ich Sie, liebe Zwönitzer, neugierig gemacht habe und empfehle Ihnen das Buch wärmstens.

Uwe Schneider, EZV

Frank Trommler „Die hellen Jahre über dem Atlantik“, Böhlau Verlag Wien Köln; ISBN Nr. 978-3-412-5254-2. 28,00 Euro.