Zum Volkstrauertag, am Sonntag dem 17.11.2024, wurde den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. In ganz Deutschland fanden sich Bürger wieder an Gräbern und Gedenkstätten ein. In Zwönitz ist es eine schöne Tradition geworden, dass im Wechsel an allen Kriegsmahnmalen eine kleine Gedenkstunde stattfindet.
Im Anschluss an den Gottesdienst in der Trinitatiskirche wurden auf dem Trinitatisfriedhof am Mahnmal Kränze niedergelegt. Die Gedenkansprache hielt der Kühnhaider Ortsvorsteher Ralf Steudten. Umrahmt wurde die Veranstaltung von den Bläsern der Ev.-Luth. Kirchgemeinde.

Gedanken zum Volkstrauertag von Ralf Steudten

In nahezu jedem Ort Deutschlands kommen am heutigen Volkstrauertag Menschen zusammen an Gedenkstätten, auf Friedhöfen oder an Gräbern, um der Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaften zu gedenken. Das Mahnmal, an dem wir uns hier auf dem Friedhof der St. Trinitatis Kirche in Zwönitz versammelt haben, erinnert uns an die gefallenen Soldaten. Wir vergegenwärtigen uns dabei: Hinter jedem Namen steht ein persönliches Schicksal, ein Schicksal von Familien.
Vor genau 110 Jahren ist der Erste Weltkrieg, vor 85 Jahren ist der Zweite Weltkrieg in Europa ausgebrochen. Ich denke dabei, wie leicht ist das daher gesagt: „… ist ausgebrochen“. Das hört sich so an, als könnte keiner was dafür, als wäre ein Krieg eine Naturgewalt, vergleichbar mit: ein Vulkan ist ausgebrochen. Es ist ein menschlicher Schutzmechanismus, dass wir besonders traumatische Ereignisse verdrängen, unsere Seele mit einem Schutzschild versehen. Viele Kriegsteilnehmer, die Großeltern meiner Generation, haben deshalb nie etwas über ihre Kriegszeit erzählt.
Wenige Jahre nach den beiden Weltkriegen stand sicher die ganz persönliche Trauer um nahe Angehörige oder gute Bekannte im Vordergrund des Volkstrauertages. Seit nunmehr fast 80 Jahren dürfen wir in Deutschland in Frieden leben. Darüber sind wir alle froh und dankbar. Mit den Jahren verblasst aber auch die familiäre, die hautnahe Beziehung zu den gefallenen Soldaten und zu den zivilen Opfern der beiden Weltkriege. Ebenso treten die Gräueltaten und Massenmorde in Konzentrationslagern oder ähnlichen furchtbaren Einrichtungen zunehmend in Vergessenheit.
Schnell drängen sich Fragen auf: Ist das nicht schon eine gefühlte Ewigkeit her? Brauchen wir in der aktuellen Zeit den Volkstrauertag eigentlich noch? Ich gestehe ganz offen: Im eigentlichen Sinne des Wortes kann ich persönlich nicht um Menschen trauern, die weit vor mir gelebt haben, zu denen ich keinerlei Beziehung hatte, die ich nie gesehen oder persönlich wahrgenommen habe.
Trotzdem von meiner Seite ein ganz klares Bekenntnis zum Volkstrauertag. Ja, wir brauchen diesen Tag, vielleicht heute mehr noch als vor 10, 20 oder 30 Jahren. Der Volkstrauertag wird seit 1926 begangen. Er geht auf einen vom Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge vorgeschlagenen Gedenktag für die deutschen gefallenen Soldaten zurück. Im Gedenken sehe ich heute auch den wesentlichen Inhalt dieses Tages. Trauer ist eine zutiefst menschliche Emotion. Hingegen ist das Gedenken an Ereignisse oder an Menschen eher rational geprägt, nicht von bestimmten Personen abhängig und auch nicht zeitlich begrenzt. Diejenigen, die die Schrecken des Zweiten Weltkrieges noch selbst miterleben mussten und die uns aufgrund ihrer leidvollen Erfahrungen ständig zum Frieden mahnen, werden immer weniger.
Auch mit größerem zeitlichen Abstand pflegen wir mit unserem Gedenken heute am Volkstrauertag die Erinnerung an die Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaften. Gleichzeitig muss unser Gedenken eng mit der Gegenwart verbunden und auch auf die Zukunft gerichtet sein. Das Gedenken soll uns mahnen und richtungsweisend sein für unser Denken und Handeln.
Wenn wir uns heute auf der Welt umschauen bin ich entsetzt. Die Nachrichtensendungen in Radio und Fernsehen bestehen gefühlt zur Hälfte aus Berichten über Kriege, Terror, Opfer und Leid. Ich verstehe nicht, warum an dieser Stelle die Menschheit offensichtlich nicht lernfähig ist. Hängt es wirklich damit zusammen, dass wir Menschen besonders traumatische Ereignisse verdrängen, dass wir deshalb Kriege quasi als Naturgewalt oder als Gott gegeben betrachten? Ist das Gedenken an die Opfer und das Leid vergangener Kriege so wenig präsent, dass immer wieder aufs Neue Waffen zur Lösung von Konflikten eingesetzt werden? Leider habe ich auf diese Fragen auch keine eindeutigen Antworten, habe kein Patentrezept zur Verhinderung von Kriegen.
Eines ist in meinen Augen aber unbestritten: Kriege sind weder Naturgewalten noch werden sie von Göttern inszeniert. Kriege werden von Menschenhand geplant, vorbereitet und ausgeführt. Einige wenige Machthaber, oder welche die es werden wollen, schüren Unfrieden. Beseelt von einer kranken Gier nach Macht und Geld, persönlich geprägt von Egoismus und Narzissmus, gepaart mit religiösen oder ethnischen Alleinvertretungsansprüchen werden wider besserem Wissen Feindbilder aufgebaut. Leider gelingt es diesen Kräften zunehmend, für ihre verwerflichen Ziele neue Anhänger zu rekrutieren. Dazu werden vorzugsweise die neuen Medien im Internet genutzt. Auf eigens eingerichteten Plattformen mit gut bezahlten Influencern und geschickter Selbstinszenierung werden geschichtliche Falschdarstellungen, Halbwahrheiten und Lügen verbreitet. Das ist alles nicht neu, nur anders aufgezogen. Früher waren es Flugblätter und sogenannte Volksredner in Parks, später waren es das Radio und die „Deutsche Wochenschau“ im Kino, heute ist es das Smartphone. Wohin hat es 1914 geführt? Wohin hat es 1939 geführt? Wohin führt es heute?
Was müssen wir tun, dass möglichst viele nachfolgende Generationen einmal unser Gedenken – als Beschützer und Bewahrer des Friedens? Ziehen wir die Lehren aus dem Leid der Vergangenheit und nutzen wir unseren gesunden Menschenverstand. Wehren wir uns gegen die Anstifter, die mit übler Propaganda und gezielten Fake News außenpolitische, innenpolitische, aber genauso auch zwischenmenschliche Konflikte heraufbeschwören wollen.

Im Gedenken an die Kriegsopfer zum heutigen Volkstrauertag möchte ich anmahnen, einen kritischen Standpunkt einzunehmen gegenüber Befürwortern von Krieg und Gewalt als legitime politische Mittel. Ich möchte Sie ermutigen, diesen Standpunkt auch offen zu vertreten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Ralf Steudten, 17. November 2024