Sehr verehrter Herr Bürgermeister Triebert, sehr geehrter Herr Bürgermeister Zimmermann aus Obermichelbach, liebe Anwesende,

der 3. Oktober 1990, Geburtsstunde der Deutschen Einheit vor 30 Jahren. Ich erinnere mich an die ersten Stunden des neuen Deutschlands, als wäre es erst gestern gewesen. Auf Vorschlag der DSU-Fraktion hatten sich am Vorabend gegen 23 Uhr im Rathaus Vertreter aller Fraktionen des Zwönitzer Stadtparlamentes versammelt, um gemeinsam mit den Delegierten der Partnerstadt Heiligenhaus die langersehnte Wiedervereinigung zu feiern.

Bereits in den Abendstunden hatten gut 4.000 Zwönitzer auf einer Demonstration, sozusagen zum Abschluss der im Oktober 1989 jeden Dienstag stattgefundenen Bürgerproteste, ihren Willen bekundet, in Frieden, Freiheit und Demokratie unser Land, unser Sachsen und unsere Stadt in blühende Landschaften zu verwandeln. Ein Beleg dafür, dass der Glaube an die Zukunft ungebrochen war, obwohl sich bereits düstere Wolken zeigten. Mit der Einführung der D-Mark am 1.7.1990 gingen nicht zuletzt bedingt durch das Kaufverhalten unserer Bürger auch in unserer Stadt viele Arbeitsplätze verloren. In den Volkseigenen Betrieben Meßgerätewerk und Schuhfabrik, beide strukturbestimmend in Zwönitz, waren Entlassungen an der Tagesordnung, seit Februar 1990 nur zum Teil durch Vorruhestandsgeld abgefedert. Dennoch gab es auch Grund zum Optimismus. Durch freie Wahlen erhielt am 18.3.90 die Volkskammer eine demokratische Legitimation und die darauf am 6. Mai abgehaltenen Kommunalwahlen schufen eine Stadtverordnetenversammlung, die alle politischen Kräfte unserer Kleinstadt repräsentierte. Am 31.5.1990 hatten die neuen Stadtväter die Arbeit aufgenommen und am 20.9. legten CDU/DSU sowie FDP ein Programm zur umfassenden Umgestaltung unserer Stadt auf den Tisch, das für vier Jahre den Auf- und Umbau von Zwönitz prägen sollte. Schon vor dem 3. Oktober rollten die Bagger in der Langen Gasse oder beim Neubau der Rathausbrücke. Kommen wir noch einmal auf die ersten Stunden im Rathaus zurück. Während mein Beigeordneter Artur Dietze die letzten Sekunden der DDR laut anzählte, dann unter Jubel die Sektkorken knallten, hatten sich die drei Vertreter der PDS stillschweigend in eine Ecke des Raumes zurückgezogen, was mich außerordentlich berührte. Auf der einen Seite Siegerlaune, auf der anderen Niedergeschlagenheit. Hatten die drei an diesem Tag nicht alles verloren, woran sie geglaubt und wofür sie gearbeitet hatten? War für sie nicht eine Welt zusammengebrochen? Keiner von den drei in Nibelungentreue verbundenen Genossen hatten in der DDR eine herausragende Rolle gespielt. Die in Zwönitz mächtigen SED-Funktionäre und Nutznießer des Systems hatten entweder die Partei längst verlassen oder sich in die Schmollecke zurückgezogen. Ein Grund mehr für mich, zu ihnen hinzutreten, ihnen die Hand zu reichen, sie zu bitten, ohne Vorbehalte den kommunalen Neubeginn in Zwönitz zu unterstützen. Um die Sozialdemokraten brauchte ich mir keine Sorge zu machen, standen wir doch im Wendeherbst auf einer Seite der Barrikade. Von Beginn der Arbeit im Stadtrat an, war das Verhalten nicht von Opposition, sondern von Verantwortung geprägt. Lag in diesem gemeinsamen Aufeinanderzugehen nicht der Schlüssel, dass während meiner achtzehnjährigen Amtszeit als Bürgermeister in keiner der in Zwönitz heftig umstrittenen Fragen – ich nenne nur die Kreisreform 1994 und den Bau der Umgehungsstraße 2001 – nach dem Parteibuch abgestimmt wurde. Wenn sich in der Nacht des 3. Oktober die Vertreter der Parteien, die Abgeordneten des Rates und unsere Heiligenhauser Gäste auf dem Marktplatz unter die vielen feiernden Bürger begaben, dominierte der Gedanke der Einheit nicht nur betreffend des gemeinsamen Vaterlandes , sondern auch innerhalb unserer alten Bergstadt. Fahren wir mit meinen Erinnerungen fort. Über 600 Gläubige unserer Stadt versammelten sich am 3. Oktober 1990 früh um 9 Uhr zu einem ökumenischen Gottesdienst in der St. Johanniskirche in Niederzwönitz. Damit wurde das Engagement von Pfarrer Georg Neubert und seinem Kirchenvorstand gewürdigt, die am 24.10.1989 die Tore des Kirchhofs für die Demonstranten zu einem Ort der Zuflucht und Sicherheit öffneten. Jahre der Unterdrückung, Benachteiligung und Verfolgung der christlichen Kirchen und ihrer Gläubigen waren an diesem Tag Geschichte. Befreiend und aus vollem Herzen sang an diesem Tag die Zwönitzer Christenheit: „Nun danket alle Gott“. Die Kirche, die einen wichtigen Beitrag innerhalb der Bürgerbewegung geleistet hatte, fühlte sich mit den Menschen unseres Landes, unabhängig von deren Weltanschauung, verbunden. An diese Verbundenheit sehne ich mich 30 Jahre später zurück. Sicher führte auch die Kirchensteuer zu vielen Kirchenaustritten, die z. B. in Zwönitz in der veränderten Kirchstruktur bei den evangelischen Gemeinden, aber auch im Ende der eigenständigen Pfarrei St. Peter und Paul ihren Niederschlag fand. Da haben wir unsere zwei evangelischen Kirchen unter großen Opfern auf höchstes Niveau saniert – die katholische Gemeinde weihte am 23.5.1994 sogar ihr neues Gotteshaus – dennoch bleiben heute viele Bänke leer, fehlen die Einnahmen zur Unterhaltung der Kirchen und ihrer Mitarbeiter. Verzeihen Sie mir bitte meine folgenden Worte. Mit nahezu 77 Jahren bin ich noch immer in meinem Kinderglauben befangen, verstehe nicht warum unsere EKD Genderreferate einrichtet und die Katholisch Studierende Jugend (KSJ) Gott mit einem Gendersternchen versieht. Schließlich steht Gott über allen, hat kein Geschlecht. Das Vaterunser-Gebet braucht deshalb keine Neufassung. Mein dreieiniger Gott ist auch nicht Allah, kein Moslem käme auf diesen Gedanken. Was unsere Väter und Urväter seit 2000 Jahren anbeteten, braucht keine Generalüberholung. Wer glaubt, dass ein moderner Gott die Kirchenbänke wieder füllt, begibt sich auf dem Holzweg. Statt sich mit Studien über die Überwindung der Geschlechterrollen – und damit der Abschaffung der traditionellen Familie widmen, sollten sich die Kirchen lieber der Tötung von mehr als 100.000 ungeborenen Kindern im Mutterleib beschäftigen.

Bundestagsabgeordnete von SPD, Grüne und Linke fordern momentan lautstark die Abschaffung des Paragrafen 218 StGB und verlangen die Freigabe der Abtreibung ohne vorherige Schwangerschaftsberatung. Wer sich am Marsch für das Leben, so wie unser ehemaliges Ratsmitglied Susanne Georgi, engagiert im Verein Lebensrecht Sachsen e. V., beteiligt, der wird hasserfüllt von jenen Gegendemonstranten beschimpft, die sich brüsten, die weitere Tötung von männlichen Küken per Gesetz verhindert zu haben. Ihre Losung: Hätte Maria abgetrieben wärt ihr uns erspart geblieben! Maria, die Gottesmutter, Tötung von Christus im Mutterleib! Einen Aufschrei unserer christlichen Kirchen habe ich ebenso wenig vernommen, wie die Anwendung des Paragrafen „Volksverhetzung“. Zurück zum 3. Oktober 1990 in Zwönitz. Höhepunkt des Vormittags war die Weihe des Platzes der Deutschen Einheit.

Bei Sonnenschein waren gut 1000 Bürger gekommen, um der Grundsteinlegung dieses Platzes und dem Pflanzen der Einheitslinde beizuwohnen. Letztere wurde im Beisein von zwei Schülern der ersten Klasse der Katharina-Peters-Schule und den beiden betagten Bürgern, Frau Ida Hahn und Herrn Kurt Nitzsche vorgenommen. Gilt doch die Linde als ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung.

Wer von Ihnen, liebe Anwesende, erinnert sich noch daran, dass diese gut gewachsene Linde, die wir heute sehen, nicht der Baum aus dem Jahre 1990 ist. Am 5. Februar 1991 wurde sie von frevelnden Händen gefällt, die auch an der Fassade unseres Rathauses mit linksanarchistischen Symbolen ihre Botschaft hinterließen. Damals vor 29 Jahren war die Empörung bei unseren Bürgern groß. Doch inzwischen scheint sich unsere Gesellschaft an solche Vorfälle zu gewöhnen, wie die ständigen Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz zeigen. Gewalt gegen Sachen, gegen die Polizei, auch gegen Mitbewohner scheint man trotz Lippenbekenntnisse mehr oder weniger zu tolerieren, soweit sie von der linksautonomen Szene verursacht werden. Noch immer finden sich Bundestags- und Landtagsabgeordnete, die solche Vorfälle nicht nur verharmlosen und Verständnis zeigen, sondern auch den schwer geprüften Polizisten die Schuld zuweisen. Ich frage mich, was würde geschehen, wenn Rechtsextremisten Verursacher wären. Würde die Staatsmacht solche „befreite Zonen“, wie Connewitz, Berlin Rigaer Straße oder das Schanzenviertel in Hamburg tolerieren?

Der Platz der Deutschen Einheit, zu dem wir am 3. Oktober 1990 den Grundstein legten, symbolisiert das Verhältnis der Zwönitzer zu ihrer Geschichte in den letzten 150 Jahren. Im Zentrum stehen die beiden originalen Betonelemente der Berliner Mauer. Dank einer gesponserten LKW Fahrt, einer Flasche Schnaps und der Cleverness von Werner Hexelschneider kamen sie zwar nicht ganz legal, aber recht kostengünstig in unsere Stadt. Allerdings wäre es an der Zeit, an Hand von Farbfotos die Originalbeschriftung wieder aufzufrischen, um den Charakter der Betonteile als Zeitzeugnis gerecht zu werden. Die Tafeln auf den Mauerteilen erinnern links an die Verwerfungen in unserer Geschichte, wie die Kristallnacht 1938, beide Weltkriege und den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961. Rechts wird den Lichtblicken gedacht, wie der Verfassung von Weimar 1919, der Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und der Maueröffnung am 9. November 1989. Die geöffneten Mauerteile symbolisieren die Errungenschaften der friedlichen Revolution zu der die Menschen unserer Stadt einen wichtigen Beitrag leisteten.

Unser ältestes Denkmal auf diesem Platz erinnert an die auf dem Schlachtfeld 1870/71 auch mit dem Blut Zwönitzer Bürger errungene Gründung des Wilhelminischen Kaiserreiches. Die Schaffung eines einheitlichen Staates für die deutsche Nation war eine fortschrittliche Tat, auch wenn das Kaiserreich die Träume einer freiheitlichen Verfassung nicht restlos verwirklichen konnte. Die Revolution von 1918 und die Zeit der Weimarer Republik machten die Risse sichtbar. Die Bundesrepublik Deutschland, als Rumpfstaat jenes Deutschen Reiches, war nach dem verlorenen verbrecherischen Krieg gezwungen, einen friedlichen Ausgleich mit ihren Nachbarn zu suchen und einen Beitrag zur Einheit Europas zu leisten. Dass wir 75 Jahre in Frieden lebten und noch leben, ist nicht zuletzt ein Verdienst dieser Europäischen Union, die auch die Spaltung des Kontinentes in Ost und West beendete. Ohne Zweifel leistet Deutschland, als wirtschaftlich stärkstes Land, verständlicher Weise den größten finanziellen Beitrag. Nur zitiert heute kein maßgebender Politiker unseres Landes den Satz von Helmut Kohl aus dem Jahre 1990, wonach der Euro so stark wie die D-Mark sein würde. Ich habe an Solidarität in der EU nichts auszusetzen, nur darf sie keine Einbahnstraße und von ewiger Dauer sein. Die Bemühungen der Südländer um gleiche Sozialstandards, auch der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft, sollte nicht aus wahltaktischen Gründen ständig ins Leere laufen. Da man im wirtschaftsstarken Frankreich die volle Rente schon mit 62 Jahren erhält, stößt das ständige Gerede hier zu Lande, man müsste das Rentenalter auch über 67 ausdehnen, bei mir auf Unverständnis. Dass die EU durch die humanitäre Entscheidung der Kanzlerin im Jahr 2015 und den dadurch ausgelösten und bis heute anhaltenden Ansturm der Flüchtlinge in einer Existenzkrise steckt – nicht zuletzt hat Großbritannien daraus die Konsequenten gezogen – kann weder durch wirtschaftlichen Druck gegen Mitgliedsstaaten, noch durch Alleingänge beseitigt werden. Die moralische Keule der deutschen Öffentlichkeit lässt sogar bei vielen unserer Nachbarn den Eindruck zu, dass erneut am deutschen Wesen die Welt genesen solle (Dichter Emanuel Geibel, 1861).

Mit der Wiederaufrichtung des 1960 von der SED vernichteten Ehrenmals für die ermordete Zwönitzer Antifaschistin Katharina Peters und dem Gedenken an das auf einen Todesmarsch im Jahre 1945 ums Leben gekommene jüdische Mädchen, erteilten wir den Ideen des Nationalsozialismus und Rechtsextremismus in jedweder Form eine deutliche Abfuhr. Seit 1996 gedenken Schüler von Oberschule und Gymnasium an diesem Ort jeweils am 27.Januar der entrechteten, gequälten und ermordeten europäischen Juden und all derer, die die nationalsozialistische Ideologie zu Feinden erklärt und verfolgt hatte. Wir Zwönitzer können uns noch gut an die bewegenden Worte des damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Herrn Ignatz Bubis, der auf meine Einladung hin, am 4. Oktober 1998 an dieser Stelle die Festrede hielt, erinnern: Die Mehrheit der Deutschen, so Bubis, „wollte weder den Krieg, noch uns Juden in die Gaskammern schicken. Es war ein unmenschliches diktatorisches System, welche dieses Verbrechen möglich machte. Schon deshalb ist es Pflicht jedes Bürgers, die 1990 gewonnene Meinungs- und Pressefreiheit gegen jedwede Angriffe zu verteidigen. Momentan scheint leider der Satz von Rosa Luxemburg von der Freiheit des Andersdenkenden – zitiert von der PDS-Fraktion am 03.10.1990 in Zwönitz – in Vergessenheit geraten zu sein.

Widmen wir uns wieder jenem 3. Oktober 1990. An diesem Tag fand um 13.00 Uhr im Rathaus eine festliche Stadtverordnetensitzung unter Anwesenheit der Aktivisten der Zwönitzer Bürgerbewegung und einer vom Bürgermeister Hermann Schwarze geführten Delegation aus Heiligenhaus statt.

Aus Zeitgründen kann ich hier die Kernsätze der Referate der CDU-, SPD-, DSU-, PDS und F.D.P. Fraktionen weder zitieren, noch kommentieren. Ich empfehle aber unseren politisch interessierten Bürgern einmal die Wochenblätter Nr. 17 und 18 aus dem Jahr 1990 in die Hände zu nehmen – unser Stadtarchiv macht‘s möglich. Die Reden verraten uns nicht nur den in Vergessenheit geratenen Zeitgeist des Jahres 1990, sondern auch, dass einerseits aus Wünschen Realität wurde, andererseits, dass Erwartungen noch immer unerfüllt blieben. Manches von damals dürfte heute nicht mehr öffentlich gesagt werden, und das finde ich traurig. Vielleicht liegt darin ein Grund, dass die Mehrzahl der noch lebenden Zwönitzer Aktivisten der Wende von CDU, DSU und SPD der Politik den Rücken kehrten. Ein weiterer Höhepunkt der hier zitierten Stadtratssitzung war die Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages mit der Stadt Heiligenhaus. Dieser Vertrag wurde bis aufs Itüpfelchen mit Leben erfüllt. Dazu zählten wochenlange Anleitungen meiner Amtsleiter und Mitarbeiter in Heiligenhaus – ich selbst musste in 14 Tagen bei Stadtdirektor Schroerschwarz kommunale Selbstverwaltung lernen. Über Monate weilten Mitarbeiter der EDV und der Bauverwaltung in Zwönitz, Kindergärtnerinnen und Feuerwehrmänner tauschten Erfahrungen aus und auf kultureller Ebene trug eine Vielzahl von Veranstaltungen dazu bei, dass über 45 Jahre getrennte Menschen zueinanderfanden. Nicht zu vergessen auch die Hilfe mit Material, angefangen vom LKW über Schreibmaschinen bis zu zwei nagelneuen VW Polo für unsere Sozialstation. Die Bürgermeister Hermann Schwarze (SPD) und Peter Ihle (CDU), ganz besonders der Kulturamtsleiter Reinhard Schneider haben sich für Zwönitz verdient gemacht. In unseren beiden Städten wuchs tatsächlich zusammen, was zusammen gehört.

Liebe Anwesende, die Vollendung der Deutschen Einheit an jenem Vereinigungstag war auch für uns Zwönitzer ein Geschenk und ich bin aus tiefstem Herzen dafür dankbar. Verglichen mit dem Zwönitz des Jahres 1989 hat unsere Stadt mehr gewonnen, als verloren. Zwönitz ist heute eine prosperierende Stadt mit 12.000 Einwohnern und sechs schönen Dörfern, von denen wir vier auf Grund unserer Hinwendung zur ländlich geprägten Bevölkerung und finanzieller Großzügigkeit ohne Bürgerproteste nach 1990 hinzugewannen. Von der wiedererstandenen Industrie, dem regionalen Handelszentrum und Schulstandort, einer modernen Verkehrsinfrastruktur, der Stadt der Volksfeste, Vereine von Kultur und Sport bis hin zu der Zukunft bestimmenden Smart City dieser Tage, ist unsere alte Bergstadt wie ein Phönix aus der Asche wiedererstanden. Natürlich mache ich mir Sorgen um die Auswirkungen der noch nicht überstandenen Corona-Pandemie. Zu schwer sind unser Handel, Fremdenverkehr und die Gastronomie betroffen. Über Wochen, zu Beginn der Pandemie, war unser Pflegeheim „Bethlehemstift“, mit infizierten 70 Bewohnern und 33 Mitarbeitern sowie insgesamt 15 Toten, Brennpunkt in der Erzgebirgsregion. Mein Dank geht deshalb an alle Mitarbeiter dieses Heimes, die Tag und Nacht unter schwersten Bedingungen die Situation meisterten und noch meistern. Das gleiche gilt für das EKH-Pflegeheim, alle Zwönitzer Ärzte und ihre Mitarbeiter, auch den Unternehmern, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. Angesichts dieser lokalen Ereignisse, den Verlust eines engen Freundes eingeschlossen, fällt es mir nicht ein, die Gefährlichkeit dieser Pandemie zu leugnen. Ich bin dankbar, dass ich in einem Land lebe, dessen Gesundheitswesen bis zum heutigen Tag den Anforderungen standgehalten hat. Natürlich darf man auch Kritik üben. Kein Mensch kann abstreiten, dass am Anfang zu wenig Schutzkleidung, besonders für Mitarbeiter in Krankenhäusern, Altenheimen und Arztpraxen, auch Tests zu Verfügung standen. Uns wurde damals ganz im Gegenteil zu heute versichert, dass Masken nichts bringen würden. Das erinnerte mich ein bisschen an die Diskussionen in der DDR, wo immer, wenn Butter oder Zwiebeln knapp waren, behauptet wurde, Butter und Zwiebeln seien ungesund. Sicher waren auch nicht alle Maßnahmen bis zum Ende durchdacht, so dass Demonstrationen dagegen in einer Demokratie legitim sein müssen. Sie als Verschwörungstheorien abzutun – leider wurden diese mir in den öffentlichen Medien nicht zur Beurteilung vorgelegt – oder sie in eine rechte Ecke zu stellen, finde ich unfair. Wenn am heutigen Tag zur gleichen Stunde der Bürgerrechtler und das Mitglied des Deutschen Bundestages und stellevertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion, Arnold Vaatz, seine Festrede in der Feierstunde des sächsischen Landtags hält, werden durch Boykott die Plätze von Linken, SPD und Grünen leer bleiben. Mit dieser Geste bestätigen gerade diese Parteien, worauf Arnold Vaatz in den letzten Jahren aufmerksam machen will: Unsere Demokratie ist nicht nur wegen Rechts in Gefahr. So hatte Vaatz der Berliner Polizei im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Corona-Regeln am 1. August dieses Jahres DDR-Methoden vorgehalten. Die Polizei sprach von 20.000, die Veranstalter von 1,3 Millionen Teilnehmern. Auch in der DDR habe es eine „dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen“ gegeben und Demonstranten seien als „Rowdys“ diffamiert worden. Von Monat zu Monat lerne man mehr von der DDR. Diese Besorgnisse sind mir nicht fremd. Echter Austausch von Argumenten und qualifizierte Streitgespräche, so über Migration, Klima, Atomkraft u.a. finden weder im Fernsehen und Rundfunk, noch in der etablierten Presse statt. Wer wissen will, wie mancher „kleine Mann“ denkt, der muss die Leserpost studieren. Geradezu religiöse Züge hat leider die Klimadebatte angenommen. Nun ist es auch mir ein Herzensbedürfnis, dass nicht nur das Wasser in den Bächen, sondern auch die Luft zum Atmen von Schadstoffen frei sein sollte. Die „überwiegende Mehrheit“ der Wissenschaftler hat nun herausgefunden, dass CO2 der Klimakiller ist. Das Wörtchen Mehrheit macht mich allerdings stutzig. Nicht nur, dass über die gegenteilige Meinung, abqualifiziert als die der „Klimaleugner“ – als würden diese Leute, das Klima leugnen – öffentlich nicht diskutiert werden darf, zum anderen, weil sich die Mehrheit der Wissenschaft im Lauf der Geschichte genügend geirrt hat. So bei der Frage, ob sich die Erde um die Sonne dreht. Bei der Einführung der Eisenbahn warnte seinerzeit die Mehrheit der Ärzte vor dem hohen Tempo eines Passagierzuges von 30 km/h. Vor 40 Jahren war sich die Wissenschaft auch einig, dass die Wälder des Erzgebirges nicht mehr zu retten waren. Es war die Minderheit, die letzten Endes Recht hatte. Bedauerlich finde ich es deshalb, dass völlig ungebildete Kinder und Jugendliche aus dem Bauch heraus – natürlich an der Leine von Politikern und mit Hilfe der Medien – die Wirtschaft vor sich hertreiben, ohne die Auswirkungen auf ökonomischem und sozialen Gebiet zu bedenken. Ist es nicht ein Antagonismus, dass allerorts über fehlende Lehrer und Stundenausfall geklagt wird, die Kanzlerin aber für das freitägliche Schulschwänzen Verständnis aufbringt? Wer in unserem Lande in den letzten Jahren wagt, auf einer Demo sich für die Meinung einer Minderheit einzusetzen, läuft nicht nur Gefahr von „Gutmenschen“ tätlich angegriffen zu werden, sondern wird auch als Rechter beschimpft. Der Berliner Senat denkt gegenwärtig sogar über Demonstrationsverbote nach, natürlich nur für jene Gruppen, die das Regierungshandeln kritisch sehen. Gerade weil unsere Menschen in den neuen Ländern nicht alles klaglos hinnehmen, haben wir Ostdeutschen keine Demokratiedefizite, sondern leben Demokratie. Die Zahl der ist minimal, die den unheilvollen Führer, gar Erich Honecker wiederhaben möchten. Ein Viertel der Sachsen, darunter auch viele Zwönitzer, sind mit dem Regierungshandeln der etablierten Parteien nicht in jedem Fall einverstanden und diese überzeugt man nicht mit Demonstrationsverboten, Ausgrenzung und Stigmatisierung, schon gar nicht mit dem auch in der DDR viel gebrauchten Argument, man müsse den Leuten nur die Politik besser erklären. Unsere Demokratie lebt vom Widerspruch, vom offenen Austragen der Konflikte bis hin zum Kompromiss. Besinnen wir uns deshalb immer wieder auf die Werte des 3. Oktober 1990: Wir sind das Volk, Demokratie ist unverzichtbar, wie auch die Freiheit für den Andersdenkenden. Gott schütze unser deutsches Vaterland und unsere Stadt Zwönitz.