Wer sich mit seinen Ahnen und der regionalen Geschichte beschäftigt, kommt an der Auswertung von Kirchenbüchern nicht vorbei. Bis zur Einführung der Standesämter in Sachsen, was per Reichsgesetz vom 06.02.1875 erfolgte, bildeten die Kirchenbücher die wichtigsten Quellen für die Ahnenforschung. In diesen Büchern sind getrennt Geburten, Trauungen und Sterbefälle in zeitlicher Folge aufgezeichnet. In verschiedenen Fällen, so in Niederzwönitz, wurden noch Familienbücher geführt, in denen auf einer Seite Eltern, die Eltern derselben und die Daten der Kinder aufgeführt sind. Auf einem solchen Blatt finden sich neben den Lebensdaten z.T. Bemerkungen zu „dabei sich ereigneten Begebenheiten und Merkwürdigkeiten“, wie es im Original heißt. Ich möchte hier auf eine Merkwürdigkeit hinweisen, deren aktueller Bezug deutlicher nicht sein kann. Das 10. Kind eines Karl Gottlob Fridrich Uhlich, Häusler und Müller allhier, (also Niederzwönitz) starb im Alter von 3 Jahren an den Pocken. Zu lesen ist (siehe unten): 10.) Marie Theresee, geb. in Ehrenfriedersdorf d. 15 Mai 1830 † d. 4 Decbr 1833 an den Folgen von Menschenblattern, die es vor 4. Wochen bekam. Das Kind war nicht vacciniert Die Pocken, auch Blattern genannt, sind eine durch Viren hervorgerufene Erkrankung. Obwohl Virenerkrankungen bereits viel früher beschrieben wurden, ist in der Mitte des 19. Jhd. das biologische Erscheinungsbild der Viren noch unbekannt. Bekannt war aber aus der Erfahrung der Vergangenheit, dass Menschen, die erst eine durch die weniger gefährlicheren Kuhpocken ausgelöste Krankheit durchgemacht hatten, eine größere Chance besaßen, die weit gefährlicheren Menschenpocken zu überleben. Das bewusste Infizieren mit Kuhpocken zum Schutz vor Menschenpocken wird vaccinieren genannt (von lat. vacca, die Kuh, lat. vaccinus, von der Kuh stammend). Zu diesem Thema bietet das world wide web (Internet) oder auch die Wochenendausgabe der Freien Presse vom 11.12.2021 (Artikel: Im Namen der Kuh auf Seite B5) ausführliche Informationsmöglichkeiten. Dass damals Pfarrer auf Grund ihrer Ausbildung gegenüber der einfachen Dorfbevölkerung einen höheren Allgemeinbildungsstand hatten, dürfte unstrittig sein. Für mich war es aber eine sehr große Überraschung, in einem Niederzwönitzer Familienbuch aus der Mitte des 19. Jhd. eine, aus kirchlicher Sicht nicht notwendige Bemerkung zu lesen, die den Tod eines Kindes auf diese Art bedauert und für abwendbar gehalten hat. Die Aktualität dieser Bemerkung ist enorm! Die Wertung der Glaubhaftigkeit dieser Quelle und die entsprechenden Schlussfolgerungen daraus muss jeder selbst ziehen.
Text: Andreas Lippold