Altes Gemälde der einstigen russischen Katharinenstadt – Die vordere Kirche wurde nach 1941 zerstört, die hintere evangelische Dreifaltigkeitskirche diente als Kulturhaus.

Kleiner historischer Nachtrag zum Seniorenkreis Brünlos

Beim Verabschieden der Besucher unseres Seniorenkreises blicke ich fast immer in dankbar fröhliche Gesichter. Am 3. März 2020 strahlten die meisten Augen noch etwas leuchtender. Der Grund: Beim Bildbericht des Ruhestandspfarrers Gernot Friedrich aus Gera gab es neben viel Neuem und Interessantem häufig Grund zum Lachen oder Schmunzeln. Der reiselustige Gottesmann hat schon alle Kontinente und in Europa sogar jedes Land besucht. Mit seinem freundlichen, umgänglichen Wesen kommt er überall zurecht und begibt sich oft auch in Ecken, die der normale Tourist nicht sieht. Obwohl schon deutlich über 80 Jahre alt, geht Pfarrer Friedrich jeden Sommer drei Monate auf Reisen. Von seinen Touren berichtet er unterhaltsam und humorvoll, manchmal mit deutlichem „Augenzwinkern“. Treffsicher beschreibt er Städte und Landschaften, aber besonders liebevoll spricht er über Menschen, die ihm begegnen.

In Brünlos erzählte Gernot Friedrich von seinen regelmäßigen Besuchen bei den Wolgadeutschen rund um die Stadt Saratow. Die einst von Kaiserin Katharina der Großen ab 1763 in die Wolgaregion geholten deutschen Bauern brachten einen wirtschaftlichen Aufschwung dieser Gegend. Zu Zeiten Lenins und Stalins hatten die Nachkommen der Deutschen eine eigene Sowjetrepublik entlang der Wolga. Bedeutende Städte der Region waren Katharinenstadt und Kosakenstadt (Pokrowsk); erstere als Wolgadeutsches Verwaltungszentrum, letztere lag neben Saratow am anderen Ufer der Wolga. Nach der Oktoberrevolution wurden 1919 beide Städte umbenannt: Katharinenstadt in Marx und Kosakenstadt in Engels. Als Hitlerdeutschland 1941 die Sowjetunion angriff, verloren die damals etwa 400.000 Wolgadeutschen ihre angestammte Heimat. Sie wurden nach Sibirien und Kasachstan vertrieben. Viele starben in den Lagern. Man zerstörte ihre Häuser und Städte einschließlich der Gotteshäuser. Die evangelische Dreifaltigkeitskirche in Marx verlor ihren Turm und war lange Zeit Kulturhaus. Erst 1995 erhielt die damals sehr kleine, wiedergegründete „Evang.-Luth. Kirchgemeinde zu Marx“ das Gotteshaus zurück. Mit viel Enthusiasmus und deutscher Unterstützung gelang der Wiederaufbau. Ein im Ausland reich gewordener Wolgadeutscher sponserte einen neuen Kirchturm. Pfarrer Friedrich berichtete nicht ohne Stolz, dass er 2015 bei seiner Predigt in der Dreifaltigkeitskirche als erster Geistlicher durch das Tor unter dem neuen, damals noch unverputzten Turm einziehen konnte.

Die Dreifaltigkeitskirche von Marx heute http://www.sternkirche-potsdam.de/
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Inzwischen kehren von Jahr zu Jahr mehr Nachkommen der Wolgadeutschen aus Kasachstan und Sibirien in die Heimat der Vorfahren zurück, obwohl das offiziell immer noch nicht genehmigt ist. Pfarrer Friedrich zeigte in erstaunlichen Bildern, wie sie ihre Häuser und Straßen bauen, aber auch eine große neue Kirche in Engels. Der Senioren-Nachmittag verging wie im Fluge und man hätte gern noch länger zugehört. Weil manches vielleicht auch sehr schnell ging, kann sich der Interessierte in diesem Beitrag nochmals etwas mit der Historie und Geografie befassen. Zum Ende der Veranstaltung überraschte Gernot Friedrich mit fünf kurzen, a capella gesungenen russischen Liedern. Die Brünloser staunten nicht schlecht, wie der eher kleine und schmächtige Mann in typisch russischer Singweise den großen Raum mit gekonntem Gesang erfüllte. Übrigens fliegt Pfarrer Friedrich im Sommer 2020 ins Bermuda-Dreieck. In seiner unverwechselbaren Art sagte er mir: „Dort verschwinden zwar immer mal Leute. Aber falls mir das passiert, schicke ich Ihnen vorher eine Postkarte!“. Wir werden Gernot Friedrich im Jahr 2021 wieder nach Brünlos einladen und sind gespannt, welches Land er uns dann vorstellt. Bis dahin treffen wir uns etwa alle sechs Wochen im Evang. Gemeindezentrum zu interessanten Themen und musikalischer Umrahmung. Jedermann ab 60 ist herzlich willkommen!

Gunter Lasch