Ein seltenes Zeitdokument. Das Foto eines US-Flugzeuges am 20.4.45 kurz vor dem Angriff. Die Aufnahme machte Helmut Schmiedgen vom Standort Grünhainer Straße 7 mit einer Filmkamera.

Vom Historiker angemerkt

Liebe heimatgeschichtlich interessierte Leser,

wie ich Ihnen schon andeutete, befinden wir uns in der Endphase der Erstellung der Zwönitzer Chronik, Teil II vom 8.5.1945 bis 3.10.1990. Wenn nicht Unvorhergesehenes eintritt, rechne ich mit dem Druck und der Auslieferung noch im Sommer 2020. Wir werden Sie rechtzeitig informieren. Nach intensiven Recherchen und zahlreichen Augenzeugenberichten, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass jene denkwürdige „Stunde Null“ in unserer Stadt terminlich nicht an den 8. Mai 1945 anzusetzen ist, sondern bereits am 20.4.45 geschlagen hatte, und zwar mit dem Luftangriff an diesem Tag.

Da wir in diesen Tagen das 75. Jubiläum dieses Ereignisses begehen, habe ich ausnahmsweise aus meiner neuen Chronik einen Abschnitt aus dem Beitrag: Zwönitz in den 18 Tagen der „Stunde Null“ entnommen, der sich speziell mit dem 20. April befasst. Dabei habe ich die Quellen bewusst nicht gekennzeichnet. Sie sind in meiner Chronik, Teil 2, akribisch erfasst, wie auch die vor und nach dem 20.4.45 erfolgten Geschehnisse erst das Bild abrunden.

Uwe Schneider Heimatforschung EZV

Zwönitz am 20.4.1945:

Werfen wir zuerst einen Blick auf die militärische Lage in unserer Region an diesem Tag. Ausgehend von Zwickau begannen auf amerikanischer Seite drei Infanterieregimente aus ihren östlichen Stellungen mit Patrouillenfahrten ins Erzgebirge. Für größere Aktionen wurden von der 89. Infanterie-Division Task Forces (TF) zusammengestellt, die nach Osten in einer Tiefe von bis zu 15 Kilometer gewaltsam aufklärten. Am 20. April kam es zu folgenden Kampfhandlungen: … 89. IS-ID, Infanterieregiment 354: Die Kämpfe im Raum Hartenstein am 19.4. bewogen den Divisionsstab, für den 10. April eine TF im Bereich des US-IR 354 zum Einsatz zu bringen. Neben einem Zug Panzer und einem Zug Panzerjäger kam die Kompanie F des II. Bataillons zum Einsatz… Was war auf deutscher Seite vor sich gegangen? Die Divisionsgrenze zwischen der Division 404 und der 11.- Panzerdivision verlief nördlich von Schneeberg. Am 19. April war der Raum im Bereich dieser Divisionsgrenze ungenügend besetzt, sodass es zum Vorstoß der Amerikaner bei Lößnitz kam… Nachdem der deutschen Führung die Übergabe von Lößnitz vom 19. April bekannt wurde, reagierte sie am Tag darauf hart und grausam. Eine von Aue aus nach Lößnitz entsandte Wehrmachtsstreife, unter dem Kommando von Hauptmann Wenndorf, verurteilte den Lößnitzer Bürgermeister Rudolf Weber zum Tode und erschoss ihn standrechtlich.

Auch die Kreisstadt Stollberg geriet mehr und mehr in den Zugriff der US-Armee. So durchquerte am 18.4.45 die 89. US-ID, Infanterieregiment 355, den Raum Lichtenstein. Auf der Ostseite von Lichtenstein bekam das II. Bataillon plötzlich Infanterie- und Artilleriefeuer… Der Standort der Geschütze konnte von den Amerikanern nicht ausgemacht werden. Es gab beim II. Bataillon Tote und Verwundete. Die Geschütze gehörten zur schweren Feldhaubitzen-Batterie der Division 404, die im Wald einen Kilometer östlich von Gablenz am Katzenstein lag. Am 19.4.45 blieb dieses Regiment auf der Linie Gersdorf – Rödlitz stehen und bereitete sich auf den für den 21. April geplanten Angriff auf Stollberg vor. Die Verteidigung unserer, der Erzgebirgsregion, hatte die 7. Armee unter dem General der Infanterie Hans von Obstfelder übernommen. Für die Gegend um Stollberg, Zwönitz, Geyer und Annaberg war die 404. Division zuständig. Der Divisionsgefechtsstand be fand sich bei den Greifensteinen unter dem Kommandeur Generalmajor Josef Schroetter. Seinem Kommando waren sechs schwere Geschütze zugeordnet, Standort am Katzenstein im Ortsteil Streitwald. Bevor ich die Ereignisse des 20.4.45, dem Schicksalstag unserer Stadt, bezeichnender Weise am letzten offiziell gefeierten Geburtstag Adolf Hitlers, schildere, möchte ich einige Bemerkungen zu meinen benutzten Quellen vorausschicken. In meiner Schilderung beziehe ich mich auf Hellmuth Erbe, Paul Kunze, Josef Hensgens sowie Manfred Koch. Die Aufzeichnungen und Aussagen der ersten drei Personen sind Erinnerungen aus den 60er Jahren, die neben Ungenauigkeiten den zu dieser Zeit folgenden Geschichtsbild der DDR unterworfen waren. Bei Manfred Koch, Jahrgang 1930, ist das damalige Alter zu berücksichtigen. Meinen vier Quellen zufolge ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild: 20. April 1945, zwischen 10.00 und 11.00 Uhr. Obwohl der regelmäßige Zugverkehr auf der Strecke Chemnitz – Aue bereits zum Erliegen gekommen war, wurde von mehreren Personen aus dem niederen Ortsteil unserer Stadt ein Zug wahrgenommen, der von Dorfchemnitz kommend in Richtung Zwönitz unterwegs war. Nahe der Brücke über die Stollberger Straße wurde er von einem US-Flugzeug, das den Schienen folgte, mit Leuchtspurmunition beschossen. Der Zug blieb sofort stehen. Nach einer Schleife flog das Flugzeug erneut den Zug an, beschoss aber auch das Auto vom Kohlenhändler Karl Hofmann, Dorfchemnitzer Straße 18. Das Auto stand vor der Gerlachmühle. Unter Beschuss war u.a. auch das Gut von Max Pfüller, Wehrgasse 13a. Nach einer weiteren noch größeren Schleife zog das Flugzeug unter Beschuss in Richtung Stadt bzw. Zwickau ab.

Die Schüsse auf das Flugzeug sind an sich unstrittig, über Ort und Art gehen die Meinungen auseinander. Kunze verlegt den Ort in das Herrenhaus (Bergmeistergut), Am Schäferberg 2. Johann Hensgens nennt das ehemalige „Rittergut“, Rittergutsweg 23, was sicher stimmt. Dort lagerte nach übereinstimmenden Angaben eine Abteilung Soldaten und Offiziere der Wehrmacht und der Waffen-SS. Wie Benedikta Paulig, geb. Schönberg, Jahrgang 1937, und ihr um zwei Jahre älterer Bruder Georg Heinrich von Schönberg als glaubhafte Zeitzeugen bestätigen, war im Bergmeistergut zu keinem Zeitpunkt Militär stationiert. Dass Offiziere den Besitzer des beschlagnahmten „Rittergutes“ ab und zu kontaktierten, ist plausibel erklärbar.

Das Bergmeistergut war zu keiner Zeit ein militärischer Standort.

Erbe selbst, der sich zu dieser Zeit im Schrebergarten „Schöne Aussicht“ befunden hatte, hörte Gewehrschüsse. Liesbeth Arnold will seinen Angaben zufolge Flakschüsse gehört haben. Trotz Nachfragen bei Zeitzeugen konnte ich aber keine aktiven Flakstellungen in Zwönitz lokalisieren. Die Befürchtungen, dass der Inhalt des Zuges, der beim Gut von Rudolf Kröpfl, Wehrgasse 15 a, zum Stehen gekommen war, aus Waffen und Munition bestanden habe, bewahrheitete sich nicht. Seine Fracht bestand in der Hauptsache aus Seife. Manfred Koch berichtet: Ein deutscher Soldat, der den Zug kontrollierte, kam zu uns nach Hause, Stollberger Straße 4. Er brachte zwei Kartons mit Rohseife. Einen übergab er meiner Mutter, den anderen wollte er nach dem Krieg abholen, was er auch tat.

Den zweiten Teil dieser Ausführungen lesen Sie dann im kommenden Anzeiger vom 23.04.2020.