Die Häuser Bahnhofstraße 31 und 33 wurden durch Brandbomben getroffen. Hinter den Häusern befand sich der Krater einer Sprengbombe.

Was an diesem Tag weiter geschah ist allgemein bekannt. Ohne dass Luftalarm ausgelöst wurde, erschienen gegen 11.00 Uhr mehrere Flugzeuge. Sie warfen Brandbomben und nahmen Fabriken und Wohngebäude unter Artilleriefeuer. Fünf Großbrände und zehn weitere Brände mussten gelöscht werden. Es starben beim Angriff 5 Personen, 28 Menschen wurden verletzt. Am Gebäude A. Trommler Werk I, den Häusern Bahnhofstraße 35, Mühlgraben 1 und mehreren Scheunen entstand Totalschaden. Die Dachstühle der Fabrik in der Lößnitzer Straße 3, das Eckhaus Markt 13 und das Bahnhofsgebäude brannten lichterloh, die Mey-Fabrik wurde stark beschädigt. Auch das Umspannwerk erhielt mehrere Treffer. Wer sich konkret über die Schäden informieren möchte, der findet in der Anlage 32 der Chronik nähere Auskünfte. Was ich allerdings vergeblich in Berichten und in den Aussagen von Zeitzeugen suchte, waren die eingesetzten Flugzeugtypen und ihre Hoheitszeichen. Zum Nachdenken regt ein Zeitzeugenbericht von Günther Mothes, Jahrgang 1932, an, der als Melder beim Volksturm eigesetzt war. Ich befand mich an diesem Vormittag bei meinem Freund Heinz Mendt in der Lößnitzer Straße 9. Plötzlich sah ich zwei oder drei Flugzeuge über den Dächern unserer Umgebung. Da ich den Flugzeugtyp als ME 109 identifizieren konnte, lief ich nicht weg. Plötzlich begann der Beschuss. Wir rannten in den Keller. Nachdem eine halbe Stunde später wieder Ruhe eingekehrt war, begab ich mich auf den Heimweg. Auf den Weg in die Niederzwönitzer Straße 12 sah ich das brennende Dach der ehemaligen Fabrik von C. A. Schwotzer und meinen ersten Toten in der Nähe der Meyfabrik. Mothes ist sich sicher, dass es sich um Beutemaschinen der US-Luftwaffe gehandelt hat. Das würde auch erklären, warum sich so viele Zwönitzer sorglos auf den Straßen bewegten. Allerdings findet diese Version wenig Gegenliebe bei Kennern der US-Armee. Ihr Argument: Der für die Amerikaner zu betreibende Aufwand steht in keinem Zusammenhang mit dem zu erzielenden Ergebnis. Auch sprechen die nachgewiesenen Sprengbomben, so zwischen der Erhardt-Fabrik und dem Haus Bahnhofstraße 33 für US-Jabo, da die ME 109 als Jäger dazu nicht ausgerüstet war. Nichts beweist aber die von diesen Tag ausgehende Zeitenwende als eine weitere Beobachtung von Günther Mothes:

Günther Mothes

Als ich mich früh gegen 9.00 Uhr zu meinem Freunde begab, war die gesamte Lange Gasse, auch die Nebenstraßen mit Hakenkreuzfahnen geschmückt. Zwönitz feierte Hitlers Geburtstag, die einen aus Begeisterung, andere mit mulmigen Gefühl, sogar aus Angst vor Strafmaßnahmen. Zweieinhalb Stunden später prangte die Stadt in Weiß. Tischdecken und Betttücher
hingen aus den Fenstern.

Wie es dazu kam, entnehme ich dem Bericht von Johann Hensgens.

Während des Luftangriffs, bei dem nach seinem Aussagen etwa 5 – 7 Flugzeuge beteiligt waren, macht er eine wichtige Beobachtung: Zu gleicher Zeit manövrierte auf dem Markt ein Panzer und er manövrierte in einer Wolke von Abgasen und Straßenstaub. Gleichzeitig krachten auch schon die Bomben… Dann habe ich ostentativ die weiße Fahne an der Apotheke gehisst, zwei RotkreuzFahnen und eine weiße Fahne oben auf dem Dach. Danach habe ich mir ein Fahrrad genommen und bin durch den brennenden Ort gefahren, allerdings erst nach dem Angriff. Habe die Bevölkerung von Zwönitz zum Weißflaggen aufgerufen. Durch alle Straßen der Innenstadt bin ich kreuz und quer gefahren. Da begegnete mir sogar noch einer von der Feldgendarmerie, der mir befahl abzusteigen und zu ihm herzukommen. Ich habe das nicht getan, ich bin weitergefahren und der Mann war wahrscheinlich auch verstört. Auf jeden Fall innerhalb von einer Viertelstunde prangte bald ganz Zwönitz in einem weißen Fahnenmeer. Und zwischendurch versuchten natürlich die Angehörigen mit ihren Nachbarn zu löschen… Ich hatte damals keine Ahnung, daß an dem einen Tag vorher in Lößnitz einer erschossen wurde… Richtig, wenn mich der Feldgendarm verhaftet hätte, wer weiß, ob ich nicht auch erschossen worden wäre. (Bild 5) Auch Hellmuth Erbe begibt sich nach dem Flugzeugangriff auf den Zug vom Schrebergarten kommend nach Haus. Ich bin auch reingesaust, habe die weiße Fahne rausgehangen, d. h. ein Handtuch und es hat sich in ganz Niederzwönitz verbreitet, das hat nicht lange gedauert, vielleicht eine halbe Stunde, da kam das Hofmann-Kohlenauto gefahren und da ging der zweite Angriff los. Und während des Angriffs war ich zu Hause in dem alten Haus, da ging die Haustür auf, da kamen paar Soldaten rein und fragten, wohnt hier der Erbe. Ich sagte, ja der wohnt oben und ich bin geflitzt und habe mich im Schrebergarten wieder versteckt.

Dieser Bericht geht leider an der Wahrheit vorbei. Er sollte nur beweisen, dass Erbe, ein Kommunist, der erste war, der die weiße Fahne gehisst hat, also nicht ein Bürgerlicher. Und dass sogar noch vor dem verheerenden Luftangriff. Es ist bezeichnend, dass Erbe diese Aussagen in seinem ausführlichen Bericht nicht wiederholte. Richtig ist, dass die Angehörigen der im „Rittergut“ stationierten Wehrmacht und SS als auch die Polizisten Arthur Gläser und Wilhelm Schnick und den Hilfspolizisten Karl Bode und Georg Decker bei den Hausbesitzern vorgesprochen haben und unter der Androhung der Todesstrafe die Entfernung der weißen Beflaggung erzwangen. Von einer Hitler-Geburtstagsfeier an diesem Tag gibt es weder schriftliche Berichte, noch können sich Zeitzeugen daran erinnern. Angesichts der Dramatik an diesem Tag wäre das verständlich.

Werfen wir noch einen Blick auf den wahren Auslöser des „weißen Flaggenmeeres“, den Zwönitzer Apotheker Hensgens. Ich habe daraufhin eine Warnung bekommen und habe mich zwei Tage versteckt aufgehalten. Zum Beispiel kam die Warnung von der jetzigen Frau Fritzsch. Diese Frau Fritzsch, geborene Keller, bekam vom Grunert den Auftrag, der ihm wieder von Offizieren Schörners hatte, die weißen Flaggen sofort einzuziehen, und wenn das nicht geschehen sollte, wird die Stadt in Grund und Boden geschossen… Die Folge davon war, daß nach und nach die Fahnen eingezogen wurden. Nur an der Apotheke, daß will ich ausdrücklich sagen, haben die zwei Roten-Kreuz-Fahnen links und rechts vor der Tür gehangen und sind bis in die Nacht hängen geblieben… Diese Frau Fritzsch hat mir auch einen persönlichen Befehl zukommen lassen. „Tun Sie es, ziehen Sie die Fahnen ein, der Kommandant, der hier im Rittergut sitzt, hat gesagt: Lieber in einer Viertelstunde als in einer halben Stunde. In einer halben Stunden kann es sein, daß ich den Befehl gebe, den Ort in Klumpen zu schießen.“ An dieser Stelle möchte ich einflechten, dass die angedrohte Beschießung nicht vom „Schettlerfelsen“ bzw. vom „Rittergut“, wie irrtümlich angenommen, erfolgt wäre, sondern vom Katzenstein im Ortsteil Streitwald aus. 

Die Zwönitzer Feuerwehr im Einsatz. Die Bewohner der Straße schauen betroffen auf die zerstörten Gebäude, folgen aber bald den Aufruf zur Beflaggung ihrer Häuser.

In welcher Gefahr sich Apotheker Hensgens und auch der Zwönitzer Bürgermeister befunden hatten, zeigen die Stollberger Ereignisse am 21.4.45. Nachdem erste amerikanische Granaten auf der Weststraße in Stollberg einschlugen, hissten die Stollberger auf Initiative von Walter Röhner, Wirt des „Bürgergartens“, weiße Fahnen, unter Zustimmung des Bürgermeisters auch auf dem Rathaus. In der folgenden Nacht zwingt eine Kampfgruppe der 404. Infanterie-Division unter Oberleutnant Schwalbe die Entfernung der Fahnen. Der amtierende Bürgermeister Johannes Friedrich wiedersetzt sich dieser Anordnung und wird erschossen. Bevor ich mich wieder den Ereignissen in Zwönitz zuwende, möchte ich mit einer Legende, die in allen von mir genannten Berichten auftaucht, aufräumen. Es geht um die Anwesenheit von General Ferdinand Schörner (1892-1973) in Zwönitz. Schörner war seit dem 20.1.1945 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe A und wurde am 5.4.1945 zum Generalfeldmarschall ernannt. Er wird von den Zeitzeugen sicher mit Generalmajor Josef Schroetter (1891-1972) verwechselt, dessen Aufenthalt bei den Greifensteinen gesichert ist. Ein Besuch seiner Zwönitzer Kampfgruppe läge im Bereich der Möglichkeit, ist aber nicht nachweisbar. Weit wichtiger erscheint mir aber die Tatsache, dass bei der Ahndung der Kapitulation der Zwönitzer Bürger vor dem Feind keinerlei Aktionen von Seiten der NSDAP bzw. der SA gemeldet wurden. Ortsgruppenleiter Kurt Georgi, der seinen Arbeitsplatz ebenfalls im Rathaus hatte, muss demnach mit dem Stillhalten und Nichtverfolgen der Affäre einverstanden gewesen sein. Schließlich konnte Apotheker Hensgens nach zwei Tagen seine Arbeit ohne Gefahr wieder aufnehmen. Das beweist: Die „Stunde Null“ hatte geschlagen. Seit diesem Tag besaß das Militär die Macht. Die bisherigen Zwönitzer Mächtigen waren zu Randfiguren degradiert. Eine aus 30 Infanteristen bestehende Kampfgruppe der 404. Division unter Oberleutnant Heinrich Grebe besaß den Auftrag die US-Armee auf ihrem Vormarsch ins Erzgebirge zu stoppen. Befehlstand war das „Roß“. Stadtkommandant Grebe leitete von hier aus den Zwönitzer Volksturm.

Er hatte in Zwönitz das Sagen: Stadtkommandant Heinrich Grebe