In unserem heutigen Beitrag dreht sich alles um Geschick und Geduld. Ein weiteres kurioses Dings vom Dach bezeugt eine einst weit verbreitete Form der Volkskunst, die heute fast in Vergessenheit geraten ist. In eine Glasflasche mit engem Flaschenhals ist eine Kreuzigungsszene eingebracht. Ein auf einem Sockel befestigtes Holzkreuz trägt, naiv und einfach gestaltet, den gekreuzigten Christus. Um die Kreuzigungsszene herum sind verschiedene Werkzeuge, eine Leiter und zwei Spielwürfel zu sehen. Auf dem Kreuz sitzt ein Hahn. Die scheinbar willkürlich verteilten Gegenstände bilden ein insbesondere in katholischen Regionen beliebtes christliches Thema ab. Dargestellt werden die sogenannten Arma Christi, die Marterwerkzeuge Jesu‘. Jedes der Objekte steht dabei für ein konkretes Geschehen der Passionsgeschichte. Mit den Würfeln spielten die römischen Soldaten um das Gewand Christus‘, mit dem Hammer wurde er an das Kreuz geschlagen. Eine lange Stange, an deren Ende eine Kugel sitzt, stellt einen an einer Lanze befestigten Schwamm dar, den die Peiniger nutzten, um die Wunden des Heilands mit Essig zu benetzen. Der Hahn steht für die Verleugnung durch Petrus, bezugnehmend auf Jesu‘ Worte: „ehe denn der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ (Mt. 26, 34). Solche Kreuzigungsszenen waren bis in das 19. Jahrhundert weit verbreitet. Das Besondere an unserem Stück scheint indes aber nicht die Szene selbst zu sein, sondern die Art und Weise wie sie präsentiert wird. Ist doch die Mündung der Flasche viel zu eng, als dass Sockel, Kreuz und Heiland hätten im Ganzen in die Flasche eingebracht werden können. Tatsächlich wurden die Einzelteile der Szene außerhalb der Flasche vorgefertigt und bemalt und anschließend mit Hilfe langer Pinzetten, Kleber und Schnüren im Inneren der Flasche zusammengesetzt. Solche Geduldsflaschen, auch Eingerichte genannt, waren seit dem 18. und bis in das späte 19. Jahrhundert weit verbreitete Erzeugnisse der Volkskunst. Unsere Flasche ist, einer Jahreszahl auf dem Kreuz nach, um 1860 entstanden. Im Erzgebirge und in den Bergbauregionen Böhmens gelangten ganze Bergwerke in unterschiedlich große Glasflaschen, die überdies oft noch durch Mechaniken bewegt werden konnten und mit seltenen Mineralien dekoriert wurden. Auf bis zu fünf Etagen konnte der Betrachter dort das Leben und Arbeiten unter Tage betrachten. Im Norden Deutschlands entstanden auf ähnliche Weise sogenannte Buddelschiffe, bei denen ein Segelschiff inklusive Masten, Segeln und Takelage außerhalb der Flasche gefertigt und durch komplizierte Schnurzüge im Inneren der Flasche aufgerichtet wurde. Kreuzigungsszenen wie die unsere wurden vor allem in den katholischen Regionen Süddeutschlands und Böhmens gefertigt. Das Arbeiten an den religiösen Szenen galt als meditative Form religiöser Andacht. Besonders im Allgäu entstanden Eingerichte auch als Klosterarbeiten, die an Pilger verkauft werden konnten. Unabhängig vom Thema erregten die Geduldsflaschen oft großes Staunen bei Betrachtern. Es schien unmöglich, dass die Objekte durch den Hals in die Flasche gelangt sein konnten, weshalb solche Stücke im englischsprachigen Raum auch impossible bottles genannt wurden. In einer Beschreibung Kursachsens aus dem Jahr 1796 schreibt Merkel: „Diese Modelle werden erst ganz fertig gemacht, dann wird in der Glashütte in einer dazu passenden Form das Glas darüber geblasen.” Das ist technisch absolut unmöglich, illustriert aber gut, welche Wirkung die filigranen Basteleien auf Unkundige gehabt haben mussten. In Bruno Gebhardts Sammlung ließen sich gleich zwei solcher christlicher Eingerichte finden. Sie reihen sich in eine breite Sammlung christlicher Devotionalien ebenso ein, wie in die umfangreiche Volkskunstsammlung.

(Text: Marco Blechschmidt)

Foto: Die christliche Geduldsflasche aus der Raritätensammlung
(Foto: Simone Bonitz – memorycard)

Die Geduldsflaschen können, zusammen mit allerlei anderen kuriosen
Dachbodenfunden, noch bis zum 09.07.2022 besichtigt
werden. Die Sonderausstellung öffnet immer Samstag von 13 –
17 Uhr. Für Gruppen ab 6 Personen werden auch Führungen außerhalb
der Öffnungszeiten angeboten. Eine Anmeldung ist telefonisch
möglich unter: 037754 2323 oder 037754 2690. Wir
freuen uns auf Ihren Besuch!

Bergmännische Geduldsflasche aus dem sächsischen Erzgebirge (Foto: Halle, Franckesche Stiftungen: KNK R.-Nr. 0076)