Teil 1 Papierbuben in Pappstuben

Die Museen der HEIMATWELTEN ZWÖNITZ gewähren in kurzweiligen Artikeln und Artikelreihen Einblicke hinter die Kulissen und stellen in alter Manier ausgewählte Exponate genauer vor. Aktuell läuft in der Papiermühle Niederzwönitz die Sonderausstellung „Wir hatten ja nüscht“? – Ostprodukte aus Pappe und Papier. Im ersten Artikel sind die gezeigten Puppenstuben aus Pappe Thema. „Puppenkinder daheim – ein heiteres Puppenstubenspiel“ prangt auf der Originalverpackung der immerhin schon 70 Jahre alten Puppenstube. Sie ist erdacht sowie gestaltet von Ursula Funcke und hergestellt in Leipzig. Die kleine faltbare Puppenstube zeigt ein Idealbild des Wohnens in den 50er Jahren. Die angedeuteten Räume sind großzügig und hell. In der Küche wird bereits mit einem Gasherd gekocht. Die Realität in der DDR sah anders aus. Es wurde mehrheitlich mit Kohle geheizt, Wohnungen mit eigenem Badezimmer sowie fließend Warmwasser blieben für viele ein Traum, insbesondere in Altbauten der ländlichen Gegenden. Das typische Möbeldesign des Ostens versprach Vielseitigkeit auf möglichst kleinem Raum, eine Innovation, die aus dem permanenten Wohnraummangel in der DDR resultierte. Not macht bekanntlich erfinderisch. Das zeigt sich auch bei der Puppenstube. Ein Blick auf die Rückseite der Figuren verrät, dass sie aus Makulaturbögen gefertigt sind. Das Wort Makulatur (lat. maculatura „beflecktes Ding“, von macula „Fleck“) bezeichnet die durch Fehldrucke nutzlos gewordenen, einseitig bedruckten Papierbögen. Die Weiterverarbeitung der Fehldrucke belegt den Materialmangel, mit dem die DDR-Volkswirtschaft in ihren Anfangsjahren zu kämpfen hatte. Papier war knapp, die wirtschaftliche Infrastruktur zur Produktion von Druckpapier in großen Teilen zerstört, oder ist als Wiedergutmachung abtransportiert worden. Ganze Lieferketten mussten erst wieder neu entstehen. Wiederverwertung sollte der Verschwendung von Rohstoffen entgegenwirken, so wie hier an diesem Beispiel. Bei der Puppenstube kommen fehlerhaft gedruckte Landkarten zum Einsatz. Doch das stört das spielende Kind nicht. Die Puppenstube ist bunt und fröhlich, klein, leicht und handlich, sodass sie auch auf Reisen mitgenommen werden kann. Mit einer zunehmend stabileren Wirtschaftslage in den 60er Jahren verschwanden die Makulaturbögen und damit auch die Papier-Puppenstuben aus den Läden, um wiederum in den 80er Jahren ihr Comeback zu feiern. Nun leiten eine zunehmend marode Infrastruktur und ein akuter Devisenmangel der stark importabhängigen DDR die Rückkehr zu Recyclingprodukten ein. „Puppenstuben selbstgebastelt“ lautet die Produktbezeichnung und das Motto. Die Bastelbögen aus Graupappe werden zu Kinderzimmer, Puppenküche und Wohnzimmer, ganz im Stil der späten 80er Jahre der DDR. Die Mappen enthalten Schnittund Faltmuster. So konnten sich die Kinder ihr Puppenhaus Stück für Stück selbst aufbauen. Der neuerliche Rohstoffmangel erzeugte dabei nicht nur nachhaltig produziertes sondern auch pädagogisch wertvolles Spielzeug. Durch die Bastelbögen lernten Kinder ab 4 Jahren den Umgang mit Schere und Bastelleim und konnten zu den Gestaltern ihrer eigenen kleinen vier Wände werden. Offenbar brauchte und braucht es Krisen für eine kreative und verantwortungsbewusste Rohstoffnutzung. Mögen wir aus vergangenen Krisen für aktuell bevorstehende und künftige lernen! Die Sonderausstellung läuft noch bis zum 31.10.2022. Für ein bisschen Museumslektüre daheim sollen die Artikel zu ausgewählten Museumsstücken sorgen. Viel Freude beim Lesen und beim nächsten Besuch in der Papiermühle Niederzwönitz.

Text: Marco Blechschmidt, Paula Stötzer