Wetterfahne und Krähe
„Zur Wetterfahne sprach die Krähe:
Du drehst dich immer, wie ich sehe;
Gehorsam schnell nach jedem Winde;
Gleich einem wankelmüt’gen Kinde!
Da sprach die Fahne zu der Krähe:
Du wunderst dich, weil ich mich drehe? –
Will bleiben ich dem Turm zum Schmuck
Muß folgen ich dem höhern Druck. –
Viel klüger ist, daß ich mich drehe,
Als daß geknickt ich untergehe!“
(Fabel von J.W.)

„Geknickt untergegangen“ ist leider eine der einst zwei Wetterfahnen auf dem Dach der Papiermühle Niederzwönitz. In der Chronik von Martin Wintermann steht, dass die Wetterfahne links auf dem Hauptgebäude 1928 abgebaut wurde, da der Arm mit dem Anker abgebrochen war. Der Bemerkung ist eine Skizze nach der Zeichnung von J. Damm von der Papiermühle beigefügt. Auf dieser erhaltenen Zeichnung sowie auf dem ältesten Foto der Papiermühle, „Die Pappenbleiche“ von 1874, sind beide Wetterfahnen zu sehen, auf dem Kopfbau das Fähnchen mit der Inschrift „F.W. Käferstein 1868“ und links am anderen Ende des Daches eine Art Fischmensch mit Dreizack und Anker. 2019 wurde die erhaltene Wetterfahne restauriert. Darüber berichtete das Zwönitzer Wochenblatt vom 15. August 2019. Hier ist auch zu lesen, dass „F.W. Käferstein“ auf Franz Wilhelm Käferstein, Papiermacher aus dem böhmischen Niedereinsiedel, deutet, der 1855 in die Papiermühle Niederzwönitz einheiratete. Bereits 2019 dachten die Museumsmitarbeiter über eine Rekonstruktion der zweiten Wetterfahne nach und nun sollte die Idee in die Tat umgesetzt werden. Über den Kleinprojektefond des Vereins Welterbe Montanregion Erzgebirge e.V. wurde das Projekt gefördert und durch regionale Schmiede (Wolfgang Triemer, Rolf Austel, Michael Gerber) und ortsansässige Dachdecker (Andreas Singer, Jürgen Nietzschner) realisiert. Um die etwa 50 Kilogramm schwere und für die Dachluke eindeutig zu große Wetterfahne auf das Dach zu bringen, musste eine Hebebühne gestellt werden. Tim Viehweger aus Zwönitz übernahm diese Aufgabe. Am 13.10.2022 wurde die Wetterfahne verhüllt aufgesetzt und am 16.10.2022 zum Tag des traditionellen Handwerks enthüllt und feierlich eingeweiht. Was sich in luftiger Höhe dreht, bleibt dem Auge meist fern. Doch der Blick nach oben lohnt sich bestimmt, angesichts der geschmiedeten Kunstwerke und Wetteranzeiger. Wetterfahnen haben eine lange Geschichte. Die älteste, dem Menschen bekannte Wetterfahne thronte auf dem Turm der Winde, unterhalb der Akropolis in Athen. In der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. errichtete Andronikos von Kyrrhos einen achteckigen Bau aus Marmor mit kegelförmigen Dach. Auf diesem stand, so berichtete es Vitruv, die Statue eines Tritons mit Zeigestab als Wetterfahne. Der Zeigestab zeigte, je nach Windrichtung, auf eines der 8 den Turm umlaufenden Reliefs, die die 8 Allegorien der Winde und Himmelsrichtungen darstellen. Wetterfahnen müssen vom Wind frei erreicht werden können und vom Aufbau her unsymmetrisch sein. Auf der einen Seite (Leeseite) bildet das mehr oder weniger schwere Fahnenblech die Windangriffsfläche. Um die Lagerreibung weitmöglichst zu verringern, bedarf es eines einfach konstruierten, wartungsarmen Lagers und eines Gegengewichtes auf der Luvseite, meist als Kugel oder Pfeil gestaltet. Da Wetterfahnen dem Wind zugänglich und gut sichtbar sein mussten, boten sich im weiteren Verlauf der Geschichte zunächst C Kirch- und Rathaustürme an. Neben der Funktion, die Windrichtung anzuzeigen und damit wichtige Hinweise auf das zu erwartende Wetter zu liefern, sollten die Wetterfahnen ein für einen Ort oder ein Gebäude charakteristisches Zeichen setzen und nahmen vielfältige Formen an. Von Stadtwappen über Jahreszahlen bis hin zu komplexen Figuren entwickelten sich regional unterschiedliche Varianten, so sind an der Küste vielfach Segelschiffe vertreten und auf dem Land Pferde. Im Laufe der Zeit tritt die Funktion in den Schatten der Gestaltung. Was sich aus den letzten 4 Jahrhunderten erhalten hat und restauriert wurde, zeigt, dass Wetterfahnen in Dörfern vielseitiger und verbreiteter waren als in der Stadt. Hier finden sie sich auf Kirchendächern, auf Dächern von Schmieden, Mühlen, Scheunen und Bauernhäusern. Da die Gebäudehöhe in ländlichen Gegenden im Allgemeinen niedriger ist als in der Stadt, sind die Wetterfahnen dem Auge näher und deshalb oft ausgefeilter. Zurück zu der Zwönitzer Wetterfahne. Da die Papiermühle seit jeher eine Wassermühle ist, ist sie auch schon immer wetterabhängig. Zu wenig Wasser ist für die mit Wasserkraft betriebene Mühle genauso schädlich wie zu viel. Also mussten die Müller damals wie heute das Wetter beobachten und sich darauf einstellen. Eine Wetterfahne auf dem Dach der Mühle scheint daher sinnvoll und nicht ungewöhnlich. Die Gestalt der zweiten Wetterfahne hingegen ist bemerkenswert und zeigt Parallelen zur einstigen Wetterfahne auf dem Turm der Winde in Athen. Dargestellt ist ein Mischwesen, das Attribute zweier Gottheiten vereint. Der stilisierte Dreizack weist auf Neptun, oder Poseidon, wie er von den Griechen genannt wurde. Der Gott des Meeres und der fließenden Gewässer zählt zu den 12 großen Göttern der griechischen Mythologie und wurde nach erfolgreichem Kampf gegen die Titanen mit dem erderschütternden Dreizack von den Cyclopen beschenkt. Die fischartige Gestalt passt wiederum zu Triton, dem Sohn Neptuns und Amphitrites, dessen wesentliches Erkennungsmerkmal die Doppelnatur ist: oben Mensch, unten Fisch. Der Anker ist ein freimütig hinzugefügtes Symbol für Hoffnung. Da dieser bei der alten Wetterfahne die Schwachstelle darstellte, wurde er in der Rekonstruktion versteift durch eine Strebe mit dem Entstehungsjahr 2022. Wie bei einer Grundsteinlegung wurden auch in die Wetterfahne Zeitzeugnisse eingebracht, die nächsten Generationen, die sich um die Pflege und Restaurierung der Wetterfahne bemühen, Hinweise zur Entstehungsgeschichte liefern. Das Museum hat hierfür Einiges zusammengestellt: blaues Büttenpapier, geschöpft in der Papiermühle mit aktuellem Wasserzeichen, den aktuellen Zwönitzer Anzeiger vom 13.10.2022, ein 1-Cent- Stück, geprägt in Deutschland 2020, im Jahr der Wiedereröffnung des Museums, die denkmalschutzrechtliche Genehmigung für das Vorhaben, den Zuwendungsbescheid durch den Welterbeverein und Kopien der Vorlage für die Rekonstruktion – die Skizze sowie Fotografie, auf denen die Wetterfahne abgebildet ist. Das Museumsteam hat sich gedreht wie die Wetterfahne im Wind, um das Vorhaben umzusetzen. Möge der Dachschmuck nicht mehr untergehen und den Krähen wie den Menschen davon berichten, dass Bewegung besser ist als Stillstand. Nun ist das Technische Denkmal wieder komplett und steht unter dem Schutz der Wetterund Wassergötter.

(Text: Paula Stötzer)