Wieder einmal Sonntag, wir haben frei, die Sonne meint es gut mit uns und strahlt über die frisch verschneite Erzgebirgslandschaft. Ski fahren ist ausgemacht, heute bleibt das Auto stehen. Die Langläufer werden auf der Schulter bis zum Wertstoffhof transportiert und dort gleich angeschnallt. Wir sind nicht die ersten und so folgen wir der Spur durch eine fast unberührte Landschaft. Ich möchte heute den Schäfer sehen, hatte ich beschlossen – also aufwärts. Jedes Jahr besuchen wir den Schäfer in den Januartagen und freuen uns an der Herde. Das brauche ich für mein Gemüt. Leider hatten wir in vergangenen Jahren noch keine Gelegenheit, ein paar Worte mit dem Schäfer zu wechseln, aber vielleicht klappt es ja heute. Frohen Mutes kommen wir voran und hören schon von weitem den Rodelspaß der Jüngsten am Richterbusch. Die alte Bahn wird rege genutzt von Spaziergängern und Skifahrern. Auch Zwönitzer Pferdefreunde sind unterwegs und haben ein Pony vor den Rennwolf gespannt für eine vergnügliche Ausfahrt.

An der Bahn angekommen erahnen wir die Herde ganz in der Nähe, aber eine feine Spur bergan lockt uns zum Weiterfahren. Und so beschließen wir die Annenkapelle zu besuchen, für ein kurzes Innehalten und ein kleines Lied. Die sich anschließende Abfahrt ist herrlich und bietet einen weiten Blick ins Zwönitztal.

Auf einer kleinen Anhöhe wartet mein Mann und sagt: „Schau mal!“ „Oh nein!“ – die Schafherde ist derweil weitergezogen und grast friedlich oberhalb von uns. Also nochmal zurück! Die Sonne lacht über die weißen Felder und wir laufen bis an die Schafherde heran. Der Schäfer erklärt gerade einer Familie sein Handwerk. Heute haben wir Glück, warten also im Abstand bis die Kinder quengeln, ihre Eltern zum Weiterlaufen drängen und der Schäfer Zeit für uns hat. Wir genießen die Sonnenstrahlen auf dem Rücken und die Aufmerksamkeit von Jan Raupach, einem staatlich geprüften Berufsschäfer. Heute können wir alle Fragen stellen und er gibt bereitwillig Antwort.

Finden denn die Schafe genug Futter unter dieser Schneedecke?

Ja und nein. Ich füttere zu, heute Morgen haben sie Heu bekommen. Das ist auch wichtig wegen der Ballaststoffe, denn das Futter, welches sie unter der Schneedecke finden, ist eher zart. Wenn sie davon genug haben, ziehen wir weiter zum Weideplatz. Die Tiere sind schlau und scharren den Schnee beiseite. Später ziehen wir noch hoch zu den Fichten, da lasse ich sie an den Spitzen knabbern, es ist wichtig, dass sie sich ausgewogen ernähren.

Im Herbst habe ich mir die Weideflächen angesehen und einen Plan zurechtgedacht, wann ich die Herde wo weiden lassen kann. Dabei ist allerhand zu bedenken. Wenn Schnee kommt – so wie jetzt – sollte der Weideplatz auch mit einem Fahrzeug zu erreichen sein und dies ist hier in Zwönitz möglich.

Ist die Herde jeden Tag draußen?

Ja, die Tiere kennen es nicht anders und sind an dieses Leben gewöhnt. Natürlich geht dies nicht von heute auf morgen. Aber die Kleinen wachsen in der Gruppe auf und lernen von den Großen. Sie sind abgehärtet und das Wandern gewöhnt. Sie kennen ihren Schäfer, die Abläufe in der Herde und ihre Hütehunde.

Muss man eine Prüfung ablegen, um Schäfer zu sein oder kann das jeder einmal probieren?

Ich bin ein Jahr bei einem erfahrenen Schäfer in die Lehre gegangen, um zu sehen, ob das etwas für mich ist. Dort hab ich viel gelernt und einen großen Respekt vor dem reichen Wissensschatz der alten Schäfer bekommen. Schäferei gehört zu den ältesten Gewerben der Welt. Erfahrungen wurden von Generation zu Generation weitergegeben. Leider kennen sich heute nur sehr wenige Menschen damit aus und so wird der Beruf des Schäfers oft unterschätzt.

Selbstverständlich habe ich auch einen Staatlichen Abschluss. Sachsen hat dafür übrigens die schwersten Anforderungen deutschlandweit. Die Ausbildung ist sehr umfangreich. Ein Schäfer ist Hirte, Arzt und Geburtshelfer, Geschäftsmann, Landschaftsexperte, braucht Wissen über Weidewirtschaft und Futtergewinnung, beherrscht die Hütetechnik mit dem Herdenhund, ist für dessen Ausbildung Hundetrainer und nicht zuletzt ein Pädagoge, der interessante Projektstunden gestaltet. Außerdem nehme ich mit meiner Herde am Verkehr teil, habe als auch so etwas wie eine Fahrerlaubnis für die Herde.

Wie viele Schafe grasen gerade in Zwönitz?

Nun schätzen Sie mal!
Ich tippe auf 200.
Nicht ganz, es sind 600 Schafe, die friedlich im Schnee wühlen und nach Futter suchen. Sie kuscheln so dicht aneinander, dass ihre Zahl oft unterschätzt wird.


Ich kann nur einen Hund sehen, sind nicht zwei Hunde nötig?

Hier habe ich nur Elly dabei, sie macht ihre Sache gut. Sie hat jetzt die Aufgabe zu verhindern, dass die Schafe in den Wald laufen und dort an den Bäumen knabbern. – Elly sitzt aufmerksam am Waldesrand, beobachtet die Schafe, und rührt sich nicht von der Stelle. – An den kurzen Tagen ist es gut, wenn nur ein Hund zum Einsatz kommt, damit die Schafe nicht so oft gestört werden. Jede Unterbrechung bedeutet, dass die Tiere 10-15 Minuten brauchen, bis sie wieder grasen. Bei 6 Unterbrechungen ist das schon mehr als eine Stunde, die ihnen zur Futteraufnahme fehlt.

Ein Wagen donnert die weiße LPG-Straße entlang, die Schafe stieben auseinander. Ja, auch das ist eine unschöne Unterbrechung. Ist die Straße nicht gesperrt?! Wir beobachten, wie die Schafe langsam wieder zurückkommen und sich dem Futter widmen.

Elly ist aufgesprungen und scheucht ein paar neugierige Schafe aus dem Waldgebiet. Mit einigen kurzen Kommandos lobt Jan seinen Hund und befiehlt ihm, sich wieder zu setzen.
Wenn ich keine neuen Befehle gebe, sitzt der Hütehund dort auch gerne 5 Stunden, ohne sich zu rühren. Ein zweiter Hund wartet im Auto. Er ist schon etwas älter und ich möchte ihm die Kälte nicht zu lange zumuten. Er bekommt nur noch kurze Aufgaben, keine ganze Tagesschicht mehr.

Ist das ein traditioneller Hirtenstab, den sie dabei haben?

Ja sicher. Dieser Stab, eine Schäferschippe, ist ein traditionelles Werkzeug der Schäferei und Schafzucht. Er vereint viele Funktionen. Er hat eine kleine Schaufel, die Schippe, mit der ich giftige Pflanzen mit der Wurzel ausgraben kann sowie einen Beifanghaken, um ein Schaf auch einmal einfangen zu können. Die Schippe schimmert in der Sonne, so dass ich damit meinem Hund Zeichen geben kann und er so die Herde in die richtige Richtung drängt. Nicht zuletzt kann ich mich auch darauf abstützen.

Wie finanziert sich ein Leben als Schäfer? Werden die Schafe auch geschlachtet und verkauft?

Der Hauptzweck der Herde ist die Landschaftspflege. Schafe haben ein breiteres Futterspektrum als Rinder, verursachen weniger Trittbelastung und schonen so die Vegetationsnarbe. Sie fressen jetzt die überschüssigen Pflanzen kurz, sodass der Bauer im Frühjahr das Feld bestellen kann und nicht das „Unkraut“ wegspritzen muss. Sie halten Weideflächen kurz und düngen gleichzeitig. So bin ich auf den Flächen der Zwönitzer Agrargenossenschaft ein gern gesehener Gast.

Die männlichen Lämmer werden alle verkauft, wenn sie das nötige Gewicht haben. Nur von den weiblichen Jungtieren verbleibt ein Teil in der Herde, um den Fortbestand zu sichern und die Herde wieder zu verjüngen.

Wie ist es mit den Wölfen im Erzgebirge, haben Sie damit schon Bekanntschaft gemacht?

Es ist wohl bekannt, dass auch im Erzgebirge hin und wieder Wölfe gesehen wurden, meist einzelne männliche Tiere auf der „Durchreise“. Zum Glück hatte ich damit noch keine Probleme. Aber ich kann den Ärger der Schafzüchter gut verstehen, denn der versprochene Ausgleich für ein totes Tier ist keine Lösung. Ein Tier ist keine Sache, die bezahlt werden kann, auch kann ich nicht einfach Schafe einkaufen, die in meine Herde passen. Die Herde ist über Jahre gewachsen, die Tiere kennen einander und lernen voneinander, sie sind an das Leben unter freiem Himmel gewöhnt. Auch der Verlust eines Hundes ist unbezahlbar. Es dauert bis zu fünf Jahre, bis ein neuer Hund richtig ausgebildet ist, das kann keine Ausgleichszahlung wieder gut machen. Außerdem gehören meine Hütehunde zur Familie.

Ist es nicht manchmal langweilig so neben der grasenden Herde zu stehen?

Nein, langweilig ist mir nie. Ich muss immer auf „Hab Acht!“ sein und die Tiere im Blick haben. Nicht jeder Tag ist gleich. Die Tiere zeigen mir an, ob es ihnen gut geht. Wenn sie unruhig sind, gilt es die Ursache herauszufinden. 365 Tage im Jahr unter freiem Himmel zu sein ist schon eine Herausforderung, aber auch ein Geschenk. Ich liebe die Tiere und meinen traditionsreichen Beruf.
Heute ist Sonntag, da sind viele Leute unterwegs. So habe ich Gelegenheit, den Spaziergängern einige Informationen mitzugeben und freue mich über Gespräche.

Wir bedanken uns für das nette Gespräch, verabschieden uns, wenden die Skier und ziehen der heimatlichen Kaffeemaschine entgegen. Eindrücke von friedlich grasenden Schafen, einem überaus netten Schäfer und einer herrlich verschneiten Heimatstadt begleiten uns auf dem Weg nach Hause.

Antje Neef