von Falk Drechsel

In vielen erzgebirgischen Dörfern ist es seit jeher eine Angewohnheit und Sitte, die Einwohner neben ihrem bürgerlichen Namen noch mit einem Spitznamen zu bedenken. Besonders im 18. und 19. Jahrhundert ist eine Häufung zu verzeichnen. Der Grund dafür war, dass besonders im 19. Jahrhundert die Bevölkerungszahlen anstiegen. Bei geschätzt 70% der Trauungen wurde innerorts geheiratet. Das hatte zu Folge, dass Nachnamen sehr gehäuft vorkamen. Damit ging das Bedürfnis einher, dass die übrige Bevölkerung diese Familien und ihre Zweige näher bestimmen wollte und musste. So sind diese Erkennungsnamen altüberliefertes Gut, das meist die Stellung der Person oder der Familie zur Umwelt darstellt oder zum Ausdruck bringen will. Dieses Phänomen kann man im ganzen Erzgebirge beobachten. Weithin bekannt ist der „Toler-Hans-Tonel“ oder der „Saafnlob“. Der Erste war der Volksdichter Anton Günther aus Gottesgab, der Zweite Stephan Dietrich, der aus Eibenstock stammende Heimatdichter. Als exemplarisch wurde Hormersdorf im Erzgebirge ausgewählt, da dem Autor hierzu umfangreiches Material zur Verfügung stand. Hier sind Namen wie Brunner, Drechsel, Drummer, Lieberwirth, Uhlmann/Ullmann oder Wetzel als typisch zu nennen. Schon im 17. Jahrhundert tauchen in Hormersdorf die ersten Beinamen auf. So war um diese Zeit Hans Köhler als „Illinghanß“ bekannt, Andreas Leßmüller wurde „WolffAndreas“ und Georg Clauß „sonsten Steinhacker genandt“ ; um nur einige Beispiele zu nennen. Im 18. Jahrhundert sind weit mehr Namen überliefert und im 19. Jahrhundert ist eine förmliche Explosion zu verzeichnen. Man kann die Zusatz- oder Spitznamen in vier Gruppen unterteilen. In der ersten und wohl häufigsten Gruppe wird der Spitzname aus mehreren Namen zusammengesetzt, meist aus den Vornamen von Vater und Großvater. Als Beispiel sei hier der Spitzname von Wilhelm Pfüller (1821-1901) genannt, der in Hormersdorf als „Gabe-Lob-Wilhelm“ bekannt war. Sein Großvater hieß Gabriel Pfüller (1752-1827), wobei Gabriel in Mundart zu „Gabe“ abgekürzt wurde. Dessen Sohn wiederum hieß Gottlob Pfüller (1793-1840). Auch hier wurde der Vorname abgekürzt zu „Lob“. So wurde aus Gottlob Pfüller der „Gabe-Lob“. Dessen Sohn Wilhelm Pfüller wurde wiederum zum „Gabe-Lob-Wilhelm“. Die Kinder des Wilhelm Pfüller wurden auch mit diesem Spitznamen bedacht, jedoch wurde bei ihnen der Vatername weggelassen. So hießen sie „Gabe-Lob-Minna“ (1850-1926) und „Gabe-Lob-Lui“ (18631938). Auch in den nächsten zwei Generationen lässt sich der Name noch verfolgen. Heute erinnern sich nur noch die älteren Einwohner an das „Gabe-Lob-Haus“. Die Herkunft und Entstehung des Namens ist aber in Vergessenheit geraten. Weiterhin gab es in Hormersdorf die Familie Weißbach. Deren Ahn Gabriel Weißbach (1670-1744) wurde ebenfalls Gabe genannt. Seine Tochter, Elisabeth Weißbach (1711-1781), nannte man „Gabe-Liesen“. Dieser Stammname wurde umso wichtiger, als die genannte Elisabeth einen Mann mit Namen Pfüller heiratete. Somit gab es dann „Gabe-Lob“ und „Gabe-Liesen“, die aber familiär nichts miteinander zu tun hatten. Es folgte der Sohn der Elisabeth mit Namen Gottfried Pfüller (1740-1808) als „Gabe-Liesen“. Dessen Sohn Traugott Friedrich Pfüller (1777-1845) und wiederum dessen Sohn Gotthilf Pfüller (1813-1897) wurde „Gabe- Liesen-Hilf“ genannt. Dessen Sohn, Karl Pfüller (1859-1925) war dann der „Gabe-Liesen-Karl“. Die Reihe könnte fortgesetzt werden. Auffällig ist, dass nie mehr als drei Namen zusammengefügt wurden, was vermutlich auf die „Sparsamkeit“ des Erzgebirgers zurückzuführen ist. Mit der Form der Vater- Sohn-Enkel-Namensgebung wurde darauf hingewiesen, aus welcher Familie und aus welchem Zweig die betreffende Person stammte. Gerade bei dieser Form der Spitznamensgebung sieht man deutlich, wie wichtig es ist, eine einzelne Person einem bestimmten Stamm zuzuordnen

Karl Pfüller (1859-1925) und seine Frau Wilhelmine (1862-1940), der „der Gabe-Liesen-Karl“ und „das Gabe-Liesen-Minel“; im Hintergrund das Gabe-Liesen-Gut, Obere Dorfstraße 46.

In der Zweiten Gruppe der Spitznamen wurde mit Berufszusätzen gearbeitet, so zum Beispiel beim „Schneider-Lieb-Gulus“. Diesen Spitznamen besaß Julius Herold (1838-1904). Sein Großvater war Schneidermeister von Beruf und wurde „Herold-Schneider“ genannt. Dessen Sohn wurde kurzerhand zum „Schneider-Lieb“, da sein Rufname Gottlieb (1793-1845) war. Ebenso in diese Gruppe gehören der „Mühl-Karl-Emil“ und sein Bruder der „Mühl-Karl-Bruno“, deren Vater der Mühlenbesitzer Karl Ullmann (1838-1913) war. „Schuste-Fritz-Karl“ wurde in Hormersdorf Karl Brunner (*1876) genannt, dessen Vater und Großvater waren Schuster mit dem Namen Friedrich Brunner. „Tische- Fritz-Wilhelm“ war Wilhelm Vorberg (*1856), dessen Vater war der Tischler Friedrich Vorberg (1810-1877). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Berufsbezeichnung, „Schuste“ statt Schuster und „Tische“ statt Tischler gesprochen wurde. Auch der Name Drechsel ist in der Umgebung sehr häufig. So wurde auch innerhalb
dieses Stammes in Hormersdorf zwischen „Salz-Toffel“ und „Danel-
Schuster“ unterschieden. Die beiden Brüder Christoph Drechsel
(1713-1784) und Daniel Drechsel (1717-1789) und deren Nachkommen
waren von Beruf Salzfuhrmann und Schuhmacher. Einer der bekanntesten
Vertreter aus dem Danel-Stamm war der Kommandant der
Feuerwehr der „Danel-Gulus“ mit bürgerlichem Namen Julius Drechsel
(*1870).

Karl Herold – der „Schneider-Lieb- Karl“ und seine Frau Ottilie geb. Buschmann

Die dritte Gruppe bilden Spitznamen, die aus Besonderheiten der jeweiligen Namensträger abgeleitet werden können. Zum Beispiel waren der Geburtsort oder das Wohnhaus Anlass für die Vergabe von Spitznamen. Louis Vorberg (1872-1942) und seine Schwester Wilhelmine, verheiratete Fleischer (1869-1943), waren den meisten Einwohnern nur als „Hütten-Lui“ und „Hütten-Minel“ bekannt. Sie wurden nämlich auf der Gifthütte, einem nahe Hormersdorf gelegenen Arsenwerk, geboren. Da Arthur Nestler (*1906) in Cranzahl geboren wurde, sprach man in Hormersdorf nur vom „Cranzel-Arthur“.

Louis Vorberg (Hütten-Lui) und seine Frau Hedwig geb. Hertel

Es darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass die meisten dieser Namen keine Schimpf- oder Spottnamen waren. Nur hier und da wurde ein Spitzname vergeben um sich über Besonderheiten einer Person lustig zu machen. Ein solcher „Spottname“ war zum Beispiel „Net-wahr-hä-Karl“. Der Karl Drechsel (1863-1935) gebrauchte nämlich die Worte „Nicht wahr, ja“ so oft, dass er deswegen „Netwahr- hä-Karl“ genannt wurde. Ein weiteres Beispiel war Max Weisbach (1897-1935), der als „Michel-Max“ bekannt war, aber den Spottnamen „Spaatz“ trug. Die Aufsätze seiner Jackentasche standen immer wie die Flügel eines Spatzen ab. Aber auch diese Namen wurden von den Betroffenen mit einem Augenzwinkern hingenommen.

Der zweite Teil des Artikels folgt in der Ausgabe 2 vom 09.01.2020.
Literatur:
• Das Lagerstättengebiet Geyer, Reihe Bergbau in Sachsen, Band 4.,
1996
• Gemeindeverwaltung Gelenau, Gemeindearchiv, Akten Hellmuth
Hofmann, Spitznamen in Gelenau
• „Mei altes Dorf“ von Gritta Wilhelm, 2000, (Privatdruck)
Bilder: Die Bilder stammen alle aus dem Archiv des Autors.

KB Hormersdorf, Taufen 1651, Nr. 7.
KB Hormersdorf, Taufen 1644, Nr. 9.
KB Hormersdorf, Taufen 1650, Nr. 1.