Bild bunter Pappteller

Die fünfte Jahreszeit im Erzgebirge zeigt sich mit Schwibbogen im Fenster und weißer Haube auf Dach und Baumkrone. Weihnachten naht in stapfenden Winterstiefelschritten. Und die Sonderausstellung in der Papiermühle Niederzwönitz „Wir hatten ja nüscht“? – Ostprodukte aus Pappe und Papier endet am 30.12.2022. Nun sollen noch ein paar Exponate vorgestellt werden, bevor sie im Depot Winterschlaf halten. Am 6.12. war wie jedes Jahr der Nikolaustag und Eltern konnten mit Leichtigkeit den Nachwuchs zu Hausarbeit überreden, konkret zum Schuheputzen. Schließlich sollte Nikolaus die polierten Stiefel des Nachts bis zum Rand befüllen, möglichst mit Süßigkeiten und nicht mit Kohlen oder keimenden Kartoffeln. Doch warum steckt Nikolaus die Geschenke in Schuhe? „Lasst uns froh und munter sein“, so lautet ein bekanntes Kinderlied, das den Nikolaustag besingt. Hier heißt es allerdings: „Dann stell ich den Teller auf, Nik‘las legt gewiss was drauf…“ Im Mittelalter warfen die Menschen am Vorabend des 6. Dezember Geschenke zum Fenster hinein, denn der Geschichte nach, soll Nikolaus heimlich drei Goldklumpen in das geöffnete Fenster einer armen Familie geworfen und so drei junge Frauen vor der Prostitution bewahrt haben. Ab dem 17. Jahrhundert kamen die ersten Teller auf und besonders schöne wurden als Gabenteller ins Fenster gestellt, damit die Geschenke darauf gelegt werden konnten, statt geworfen. Doch edle Porzellanteller waren ein sehr kostspieliges Essgeschirr, arme Familien behalfen sich mit Strümpfen und Schuhen, die sie für Nikolaus‘ milde Gaben parat stellten. Besagtes Kinderlied entstand im 19. Jahrhundert wie auch die Gabenteller für jedermann. Ein Buchbindermeister aus Luckenwalde namens Heinrich Henschel machte sich Gedanken über das hygienische Verpacken von Lebensmitteln. Die Menschen verpackten zu jener Zeit Frischwaren in Zeitungspapier, was zur Folge hatte, dass die Druckerschwärze auf die Waren abfärbte. Henschel experimentierte mit Druckpresse und Holzschliff und stieß zufällig auf den Pappteller, für den er 1867 Patent anmeldete. Aus der Buchbinderwerkstatt entwickelte sich eine Papierwarenfabrik. Im Laufe der zweiten Privatisierungswelle von 1972 wurde der Betrieb in VEB Pappen- und Papierverarbeitungswerke Luckenwalde umgewandelt. Der Pappteller gehörte immer zum Sortiment und speziell der Gabenteller erfreute sich großer Beliebtheit. Der Grafiker und selbstständige Werbefachmann Gerd Gebert aus Luckenwalde entwarf das Dekor der weihnachtlichen Pappteller seit den 1950er Jahren. Da gewisse Vorgaben sein Gestaltungsrepertoire beschränkten, mus – ste er besonders einfallsreich sein. Denn Weihnachten war der sozialistischen, atheistisch geprägten DDR Führung ein Dorn im Auge. Zwar konnten die christlichen Feiertage nicht verboten werden, das barg eine zu große politische Sprengkraft, aber es fand eine schrittweise Umdeutung des Festes statt. Fest des Friedens oder einfach nur Fest sollten es fortan heißen. Das Weihnachtsgeld wurde umbenannt in Jahresendprämie. Die von volkseigenen Betrieben herausgegebenen Adventskalender trugen noch bis in die 70er Jahre die vermeintlich weniger verfängliche Bezeichnung „Vorweihnachtlicher Kalender“. Den Gabenteller füllten nicht der Nikolaus und das Christkind, sondern Väterchen Frost oder das Schneemädchen. Und christliche Motive waren bis 1973 verbannt. Weder Engel, noch Jesuskind, noch die Heilige Familie durften die Gabenteller zieren, Gerd Gebert wählte deshalb mit Vorliebe Märchenund Waldszenen. In der Sonderausstellung sind eben diese Beispiele zu sehen. Wie Bilder hängen sie an der Vitrinenwand. Ihr Dekorationswert hat sie vor dem Verfall bewahrt. Die Teller wurden nach Weihnachten nicht etwa entsorgt, wie es heute mit Pappgeschirr passiert, sondern säuberlich in den Schrank geräumt, damit sie Jahr für Jahr die Gaben präsentieren konnten. Wobei diese eher spärlich ausfielen. Da typische Zutaten für traditionelles Weihnachtsgebäck in der DDR kaum zu besorgen waren, landeten eher Walnüsse und eine einzelne Mandarine auf den bunten Papptellern und das war damals schon etwas Besonderes. Die Kinder konnten sich sowohl an den Leckereien als auch an den Motiven auf den geleerten Tellern erfreuen. Heute erleben Eltern Wutausbrüche und Tränen der Enttäuschung, wenn die Stinkstiefel nicht zum Bersten gefüllt sind mit Schnickschnack. Vielleicht müssen wir uns alle bald wieder an weniger gewöhnen und unsere Einstellung prüfen, getreu der sprichwörtlichen Frage: Ist der Teller halb voll oder halb leer, aus Porzellan oder Pappe?

Text: Paula Stötzer